Liebe und Völkermord
anstellen müsste. Mardin lag so weit weg, er brauchte also ein Pferd. Er müsste mehrere Tage, vielleicht sogar Wochen dort bleiben, um irgendwie in die Nähe der Frau des Wesirs zu kommen und um ihr Vertrauen zu gewinnen. Er brauchte also eine gute Ausrede, um nicht den Verdacht seiner Dorfgenossen auf sich zu lenken. Vor seinem Häuschen traf er seinen Vater Aziz an, den er um etwas Geld bat. Der Vater fragte ihn, wofür es denn sei. Der Sohn antwortete, er wolle nach Mardin gehen, um dort eine Arbeit zu suchen, und sobald er es könne, würde er ihm das Geld zurückzahlen. Erst misstrauisch, dann aber voll Freude über den mutmaßlichen Charakterwandel seines Sohnes, gab ihm der Vater das Geld. Aziz erzählte es sogleich seiner Frau, nachdem sie vom Wäschewaschen am Brunnen in der Mitte des Dorfes zurückgekommen war.
„Hast du ihm etwa das Geld gegeben?“
„ Ich glaube, es ist für eine gute Sache.“
„ Ich weiß es nicht. Hoffentlich enttäuscht er uns nicht.“
Seine harmlosen Eltern unterstützten Barsaumo bei seinem Vorhaben, ohne jegliche Zweifel.
Das Pferd wollte er sich bei dem Muchtar Murad leihen. Der Bürgermeister besaß drei Pferde, einen schwarzen Araberhengst, einen Schimmel und einen schwarzen Wallach.
Seine beiden Kumpanen Tuma und Scham'en konnte er weniger erfolgreich von seiner angeblichen Arbeitssuche in Mardin überzeugen.
Tuma lachte laut. „Du bewegst dich doch keinen einzigen Schritt einfach so, doch nicht wegen Arbeit. Nein, es ist bestimmt wegen einer Möse.“
Scham'en lachte mit. Barsaumo verzog seine Miene. „Ich habe doch immer gesagt, dass ich hinaus in die Welt will.“
„Ja, schon gut. Wenn du dort Arbeit gefunden hast, komm sofort wieder, ja, dann kommen wir nach und haben vielleicht auch Glück, dort Arbeit zu finden“, sprach Scham'en.
Barsaumo grinste, er platzte vor Lachen. „Leute, nein, ich gehe doch nicht hin, um Arbeit zu suchen.“
„Also doch eine Möse“, sagte Tuma und lachte wieder laut auf.
„ Ja, und was für eine.“
Barsaumo lachte lauter als die beiden. Ihr Lachen hallte im Tal wider. Sie standen oben auf einem Berggipfel unweit von der Nordseite des Dorfes.
„Wovon redest du?“, erwiderte Tuma und verstummte.
„ Die Frau des Wesirs.“
Tuma und Scham'en schauten sich verdutzt gegenseitig an, Barsaumo lachte weiter. Tuma starrte Barsaumo grimmig an. „Bist du wahnsinnig geworden? Wenn du das wirklich machst, gefährdest du unser aller Leben!“
„Ach, komm schon, Freundchen, der Bastard hat es doch verdient. Mann, was für eine heiße Frau er hat.“
Scham'en schaute wie ein Wahrsager bei der Offenbarung einer Vision. „Das darfst du nicht machen!“
Barsaumo hielt inne. Er trat zurück. Noch nie hatte er Scham'en mit solch einem Blick gesehen. „Beruhigt euch! Ich habe doch nicht gesagt, dass ich es tun werde. Ich gehe nach Mardin und schau mich erst einmal dort um.“
„ Dann geh mit Gott“, sagte Tuma und gab ihm seine rechte Hand. Scham'en tat es Tuma gleich. Barsaumo bedankte sich bei ihnen und entschuldigte sich, er müsse noch einige Dinge für seine Reise erledigen.
Scham'en und Tuma blieben noch eine Weile lang dort stehen. „Ich finde, er geht zu weit. Damals schon, wegen dieser einen Affäre mit der Frau des Musa aus der Charabale, habe ich dir gesagt, dass er ein Idiot ist“, sprach Scham'en.
„Ja, ich glaube auch, er weiß nicht, was er tut.“
„ Weiß er es nicht, oder ist er einfach zu dumm, um es zu wissen? Oder sind ihm die negativen Folgen seiner Handlung egal?“
„ Ach, mach dir keine Gedanken mehr. Warten wir einfach ab. Ich halte zu ihm. Auf mich kann er zählen. Was ist mit dir?“
Scham'en gaffte ihn mit zusammengepressten Lippen an. Tuma erhöhte seine Lautstärke. „Du behältst das doch für dich, oder?“
Scham'en schwieg immer noch.
„ Ich warne dich, wir stecken alle in einem Boot! Also komm auf keine falschen Gedanken!“
Scham'en starrte Tuma immer noch schweigend an.
Er entfernte sich. Tuma schaute ihm nach, jedoch folgte er ihm nicht.
Abdullah und Abuna Isa schüttelten die Hände.
„ Nochmals danke ich Euch für Euer Kommen.“
„ Nichts zu danken, Vater. Es war meine Pflicht.“
Er setzte sich auf seinen Schimmel und half seiner Schwester auf. Sie klammerte ihre Arme um seinen Bauch.
Der Dorfälteste stand hinter dem Abuna und senkte sein Haupt.
„ Ihr habt alles richtig gemacht.“
„ Dieser Wesir, ich sage euch, wir können ihm nicht trauen.
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