Liebe und Völkermord
schöpfen wird, dass er getötet worden ist?“
Die Mutter senkte ihr Haupt, das tat sie immer, wenn sie nachdachte. Aische starrte sie an, gespannt wartend auf eine Antwort ihrer Mutter wie ein Student vor der Notenverkündung seines Examens.
„Du könntest es wie einen Unfall aussehen lassen. Aber wer würde dir dann glauben? Nein, das ist zu gefährlich. Benutze Gift, das wird niemand herausfinden. Sie werden denken, er ist krank geworden und stirbt an den Folgen eines Fiebers.“
„ Ja, das ist eine gute Idee. Bitte besorge mir solch ein Gift, Ma.“
Farida hielt immer noch ihr Haupt gesenkt wie eine Andächtige. Hatte sie etwa eine schlimme Vorahnung? Hatte sie Skrupel? Oder bereute sie etwa, in der Vergangenheit nicht so voller Tatendrang wie ihre Tochter gewesen zu sein? Nach einer Weile schaute sie zu ihrer Tochter auf und lächelte sie freundlich an. „Ja, mein Kind, das wird kein Problem sein. Bedenke noch, du musst es zum richtigen Zeitpunkt tun. Handle nicht aus reiner Laune heraus.“
Aische nickte. „Wenn er mir das nächste Mal verrät, dass er plant, unschuldige Menschen zu töten, werde ich es tun.“
Isa hastete im Raum auf und ab. Irgendwann blieb er vor der Wand stehen und schlug mit der Faust seiner rechten Hand auf sie. Die in Totenstarre versunkene Maria erwachte wieder zum Leben. Ihr Gesicht füllte sich mit Farbe. Für einige Momente vergaß sie ihren Kummer. „Wie viele hat uns denn der Moslem gestohlen?“
„ Wir haben nur noch die Hälfte unserer Schafe und Ziegen.“
„ Was? Möge dieser verdammte Moslem in der Hölle schmoren! Wie kann er es wagen, die Hälfte unseres Eigentums zu nehmen? Warum habt ihr euch denn nicht gewehrt?“
„ Dabei hatte der Moslem doch nur ein Fünftel gesagt und er nimmt uns die Hälfte! Dieser unverschämte Moslem hatte mir doch nur kurz zuvor sein Beileid wegen Gabriel ausgesprochen. Gabriel, den er selbst ermordet hat.“
Maria erhob sich, sie taumelte. Nach einer Weile stand sie aufrecht. Sie hatte sich regeneriert und war nun die lebendige Frau wie einst. „Ja, dieser Moslem war es, der unseren Sohn ermordet hat.“
„Wohin soll uns das alles noch führen? Die Moslems wollen uns doch Alles nehmen. Sie wollen auch unser Land. Wir werden uns gegen sie wehren müssen. Wir müssen uns mit Gewalt gegen sie wehren. Ich ertrage diese Ohnmacht unseres Volkes nicht mehr.“
„ Warum unternimmst du dann nicht etwas?“
Der Mann schaute seine Frau überrascht an. „Oh ja, ich muss gleich sofort etwas unternehmen. Ich gehe zum Abuna und werde ihm sagen, dass wir uns gegen diese Moslems erheben müssen. Wenn es sein muss, mit Gewalt.“
Er verlangte von ihr, im Haus zu bleiben und verließ darauf das Gebäude. Sie blieb mitten in ihrem Korridor stehen. Sie dachte über alles Geschehene nach. Ja, dieser Muhammad Ali, dieser Moslem von Wesir war der Mörder ihres geliebten Sohnes. Hatte sie also Matthias Unrecht angetan? Sie wollte weiter darüber nachdenken und zu einer neuen Erkenntnis gelangen. Doch da war etwas in ihrem Gehirn, was sie davon abhielt. Nein, sie wollte nicht weiter nachdenken. Die Dinge waren eben so, wie sie waren, dachte sie.
Madschid betrat das Haus. Er blieb stramm wie ein Adjutant vor seiner Mutter stehen. „Ich habe gehört, was geschehen ist. Ich bin einfach nur noch erschrocken, Mutter. Siehst du, dieser Wesir ist zu Allem fähig. Er hat meinen Bruder umgebracht und uns nun unser Eigentum genommen, die Grundlage für unsere Existenz.“
Sie schaute ihn schweigend an. Er dachte, sie würde ihm gut zuhören. Er sprach weiter: „Ich habe Matthias gesehen. Mutter, ihn trifft keine Schuld. Dieser Wesir hat unseren Bruder ermordet. Und was dieses kurdische Mädchen betrifft, er hat nur einmal mit ihr gesprochen und ihr den Weg in unser Dorf gewiesen. Mehr nicht.“
„ Verheimlichst du mir etwas?“
Madschid war kein guter Lügner, dessen war er sich bewusst. Er strengte sich weiterhin an, sich dies nicht anmerken zu lassen. „Nein, so ist es gewesen, Mutter. Ich habe dir doch nie die Unwahrheit erzählt.“
„Ja, ich weiß, Madschid, mein geliebter Sohn. Du bist mein Bester. An dir finde ich am meisten gefallen. Ich weiß nicht, ob ich es war, die dich so erzogen hat. Du bist zu liebenswürdig, dass ich das selbst nicht glauben kann.“
Madschid war innerlich erleichtert. Er lächelte. „Ich mag dich, Mutter, mehr als jeden anderen Menschen.“
Sie näherte sich ihm und strich mit der Innenfläche ihrer
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