Liebe und Völkermord
dieser Region Südostanatoliens „Qaratsch“ genannt.
Sie lebten wie Unwillkommene außerhalb der Dörfer und Städte. Sie bewarben sich nie um eine Arbeit der Ortsansässigen, sondern begnügten sich mit ihrer Musik und ihrem Tanz. Ihre Frauen zogen bisweilen durch die Dörfer, klopften an der Tür der Häuser und erflehten, oder besser gesagt, erzwangen von den Eigentümern, ihnen irgendetwas von ihrer Habe abzugeben.
Matthias hatte zwar schon viel über sie gehört, jedoch war er noch nie wirklich einem von ihnen begegnet. Als er die Karawane sah, war er überrascht, schockiert und froh zugleich. Er war offen für Neuentdeckungen und neue Beziehungen. Vor allem imponierte ihm, wie gelassen und sogar erfreut sie waren, als sie seine Bekanntschaft machten. Es überraschte ihn, weder lachten sie über seine geringe Körpergröße, noch kamen sie ihm mit geringer Aufmerksamkeit entgegen. Matthias schien es fast schon so, als würden sie ihn für einen Fürsten halten.
Soraja war das hübscheste Mädchen, welches Matthias je in seinem Leben gesehen hatte. Vielleicht war Meridschan doch schöner, da war er sich nicht so sicher. Beide waren auf ihre eigene Art sehr hübsch. Das Zigeunermädchen war erst vor einer Woche achtzehn Jahre alt geworden. Sie war die Tochter von Feisal, dem Anführer jener Karawane, der wohlhabendste Mann ihrer Gemeinde.
Ihre Gegenwart erquickte Matthias' Seele.
Sie inspizierte die Höhle wie ein Detektiv. Als sich dann schließlich ihre Augen auf seine Bücher richteten, lächelte sie ihn freundlich an. „Du liest. Das finde ich sehr gut.“
„Ja, ich habe sogar ein Buch über Völkerkunde. Da steht auch Einiges über euer Volk. Ihr seid Inder. Indien ist ein faszinierendes Land. Ich mag fremde Kulturen, da gibt es immer etwas Neues zu entdecken. Aus Indien soll die Musik kommen.“
Sie sprachen auf Kurdisch miteinander. Matthias war des Kurdischen mächtig.
„Deswegen machen wir gerne Musik“, meinte Soraja und lachte darauf herzhaft. Matthias lächelte, doch hatte er zu viel Respekt vor ihrer Kultur, um sich respektlos ihr gegenüber zu geben. „Bestimmt bist du eine gute Sängerin.“
Sie lächelte verlegen und wandte ihren Blick von ihm ab. Er verfolgte ihre Augen, sie wich ihm aus.
„Nicht so schüchtern.“
Schließlich gab Soraja nach und sang ein Lied, welches sie von ihrem Vater beigebracht bekommen hatte. Solch eine süße Gesangsstimme hatte Matthias noch nie gehört. Das Lied gefiel ihm ebenfalls. Die Melodie klang schön und war gut einprägsam. Er summte sie nach. „Sehr schönes Lied. Wovon handelt es?“
„Es ist ein trauriges Lied. Eine Frau beklagt ihre verlorene Liebe. Und sie selbst ist dazu verdammt, im Land umherzuziehen, ohne Heimat, ohne Heim und ohne Habe.“
Der Aramäer nickte schweigend. Ihm fehlten die Worte.
Sie setzte sich zu ihm. Er roch den lieblichen Duft ihres Körpers, es war ein Parfüm aus Jasmin.
„ Du bist Christ. Mein Vater sagt, die Christen sind gute Menschen. Sie sind bescheiden und lieben jeden Menschen, sogar ihre Feinde.“
„ Na ja, das trifft nicht auf alle zu“, erwiderte Matthias und lächelte dabei beschämt. „Wir sind eigentlich gar nicht anders als die Muslime. Ich bin der Meinung, nicht die Religion ist es, die den Charakter des Menschen formt, sondern die Umstände und Bedingungen seines Lebens.“
„ Ich würde gerne mehr über deine Religion erfahren. Wir erkennen Jesus als einen Propheten an. Erkläre mir, warum sagt ihr, dass er ein Gott ist?“
„ Wir glauben, er sei am Kreuz gestorben und am dritten Tag seines Todes wiederauferstanden. Er war Gott selbst, der in Gestalt eines echten Menschen zu uns auf die Erde kam und wie einer von uns unter uns lebte.“
„ Er war tot und ist dann wiederauferstanden?“
„ Ja, daran glauben wir. Ihr sagt, nicht er wurde gekreuzigt sondern ein anderer Mann, der ihm ähnlich sah.“
„ Warum sollte er freiwillig sterben, um dann sich selbst wiederzubeleben?“
„ Es ist das Opfer, das dargebracht werden musste, wegen der Sünden der Menschheit. Nur durch dieses Opfer konnte Gott dem Menschen vergeben und die Menschen selbst können nun wieder Hoffnung schöpfen. Ich selbst glaube, dass es ein Wunder für uns ist, ein Symbol für uns Alle, damit wir an die Existenz des lebendigen Gottes glauben können. Ohne den Glauben würden wir im Chaos untergehen. Der Tod ist nicht das Ende von Allem. Diese Zuversicht und Sicherheit gibt unserem Leben einen Sinn.“
„
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