Liebe, unendlich wie das Meer
unüberwindliche Abneigung!
Und wieder hatte es so wehgetan, als er nur schwieg.
Jetzt reichte es wirklich. Sie ertrug es schlecht, wenn Menschen sie nicht mochten, und war bereit, sehr weit zu gehen, um die Sache zu bereinigen. Aber masochistisch veranlagt war sie nicht. Schluss, aus, vorbei. Sollte er doch von ihr halten, was er wollte!
Nach stundenlanger harter Arbeit hatte sie im größten der Badezimmer, das über der Küche lag, alle Fliesen von den Wänden und vom Boden geklopft und die ganze Wandvertäfelung darüber gelöst. Da die Sonne schon unterging und ihr jetzt wirklich alle Knochen wehtaten, beschloss sie, Feierabend zu machen.
Sie ging nach unten und schaltete den Heizlüfter und den Generator aus. Erst vor der Tür merkte sie, dass sie ihren Parka oben im Bad hatte liegen lassen. Sie kehrte um, holte die Jacke und wollte den Raum gerade wieder verlassen, als das von unten angesengte, jetzt von den Fliesen befreite Pressholz nachgab.
Es ging alles so furchtbar schnell, dass sie es gar nicht richtig mitbekam. Bevor sie sich versah, steckte sie mit einem Bein bis zum Oberschenkel in dem Loch fest, das sich unter ihrem Fuß aufgetan hatte.
Atemlos wartete sie darauf, ob Schmerzen einsetzen würden, die ihr anzeigten, dass das Bein gebrochen war. Doch sie konnte den Fuß und das Knie bewegen, und nur der Oberschenkel, der den Druck der umliegenden Bretter aushalten musste, würde wahrscheinlich grün und blau werden. Zu bluten schien sie auch nicht – ihre dicken Jeans und die langen Unterhosen hatten sie wohl vor den scharfen Holzsplittern geschützt.
Doch als sie die Hände auf den Boden stützte und versuchte, sich aus dem Loch zu stemmen, kam sie keinen Zentimeter weit. Sie hatte wirklich bis zur Erschöpfung gearbeitet und einfach keine Kraft mehr in den Armen, zumal ihr anderes Bein ziemlich unbequem hinter ihr ausgestreckt war. Und durch den vielen Stoff war sie so fest in dem Loch eingeklemmt, sodass ihr auch kein Spiel blieb, sich zu drehen oder hinzulegen.
Sie war gefangen.
Draußen brach bereits die Abenddämmerung herein, und das Haus, das statt der beim Brand geborstenen Fenster nur noch Plastikplanen hatte, kühlte schnell aus. Ihr Handy lag mit dem Klemmbrett unten in der Küche – unerreichbar. Es gab nur einen Weg, aus dieser misslichen Lage herauszukommen.
Cassandra holte tief Luft und schrie, so laut sie konnte: „Alex! Alex! Hörst du mich?“
Stirnrunzelnd blickte Alex vom Schreibtisch auf. Irgendetwas stimmte nicht. Aber was?
So ein Kribbeln im Nacken spürte er immer dann, wenn Unheil drohte – bei seiner Crew war er berüchtigt dafür. Nachdenklich starrte er auf die Blaupausen seines Vaters, an denen er arbeitete. Er hatte seine Skrupel überwunden und der Versuchung nachgegeben, sich damit zu beschäftigen. Die meisten Entwürfe waren richtig gut und konnten mit ein paar kleinen Änderungen wirklich außergewöhnliche Boote ergeben.
Gegen sieben stand er auf und ging zum Kühlschrank, um sich ein paar Proteindrinks zu holen. Wieder spürte er dieses unangenehme Kribbeln im Nacken.
Gleichzeitig klingelte sein Handy. Es war Libby.
„Haben Sie Cassandra gesehen?“, fragte die Haushälterin besorgt.
„Ist sie nicht bei Ihnen zu Hause?“
„Da sollte sie sein, aber ich warte schon seit zwei Stunden auf sie.“
Mit einem unguten Gefühl schaute Alex zum Haus hinüber. Dort war alles dunkel, und er konnte nicht sehen, ob ihr Wagen auf der Auffahrt stand.
„Ich gehe zum Haus rüber und rufe gleich zurück“, erklärte er Libby.
Er griff nach einer Taschenlampe, zog sich eine Jacke über und humpelte, so schnell er konnte, über die Auffahrt. Tatsächlich stand der Range Rover vorm Haus, aber drinnen war alles still.
„Cassandra?“, rief er, als er durch die Plastikplane in die Küche trat.
„Alex?“ Ihre Stimme klang dünn und leise. Erschrocken leuchtete er herum – und sah ihr Bein durch die Zimmerdecke baumeln.
„Cassandra!“
Fluchend über seine Behinderung hastete er die Treppe hinauf ins Badezimmer. Dort war es so kalt, dass er seinen Atem sah.
„Gott sei Dank“, stieß Cassandra zitternd hervor. „Alex …“
Mithilfe der Taschenlampe verschaffte er sich einen schnellen Überblick über ihre Lage. Ein Bein war hinter ihr ausgestreckt, das andere steckte bis zum Hüftgelenk im Boden. Sie hatte sich die Jacke lose um die Schultern gelegt, aber da sie sich nicht bewegen konnte, war sie trotzdem völlig durchgefroren. Im Gesicht war sie
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