Liebe unter Fischen
verlassen? Weil wir sie vergessen haben. Und weil wir sie schon so lange vergessen haben, leben wir nun in einer Welt, in der die Anderswelt nur noch für manche Kinder und Irre existiert.
Zählen Sie mich getrost zu letzteren.
Ganz der Irre,
Alfred
19 . Juli
Liebe Susanne,
ich habe sie heute wieder gesehen, Titania und den Rest der coolen Elfengang.
Mehr fällt mir jetzt nicht ein.
Regen.
20 . Juli
Regen.
Wollte mit den Elfen reden und auch mit einem Zwerg, der hinter der Hütte im Wald wohnt. Aber sie verschwinden, wenn ich den Mund aufmache.
21 . Juli
Regen.
Überlegung, ob ich in den Ort fahren soll. Damit ich wenigstens mit irgendwem reden kann. Habe aber Sorgen wegen der Straße. Überall Wasser. Mara ist ein seltsamer, ein schöner Name.
Grüße Fred
PS : Sollte es jemals wieder ein Buch von mir geben, der Titel » Liebe unter Fischen« böte sich an. Fürchte aber, es bleibt beim Titel.
22 . Juli
Der Regen hatte aufgehört. Zart schimmerte die Sonne durch eine bleigraue Wolkendecke. Als Fred ein Motorengeräusch vernahm, frohlockte er. Doch es war nicht Mara, die den schmalen Pfad zwischen Parkplatz und Hütte hinunterlief, sondern Aisha. Sie wedelte übermütig und begrüßte Fred, indem sie eine Art klagenden Gesang anstimmte, was ihn sehr rührte. Darüber musste er unbedingt mit Mara reden: Ob Hunde tatsächlich die einzigen Wesen sind, denen Menschen mehr bedeuten als ihre eigenen Artgenossen.
August tauchte auf. Unrasiert, Zigarette im Mundwinkel, unwilliger Schritt – er wirkte schlecht gelaunt.
» Sauwetter, elendes«, fluchte er und knallte einen Brief auf den Tisch. » Da – Post. Hast du einmal zu den Pflanzen geschaut, Dichter ?«
Fred schüttelte den Kopf. » Gießen war ja nicht notwendig .«
» Aber Schnecken klauben«, brummte August und machte sich auf den Weg zu seiner Plantage.
» Es ist, wie es ist«, rief ihm Fred ironisch nach.
August blieb missmutig stehen. » Eh .«
» Na eben nicht«, lächelte Fred, den anderer Leute schlechte Laune stets heiter stimmte. » Man kann eben auch etwas ändern !«
» Jo«, brummte August, » und wenn man’s geändert hat, dann ist es wieder, wie es ist .«
» Gut, und ich habe eben auf die Schnecken vergessen. Ist, wie es ist«, stichelte Fred. Er wunderte sich selbst, warum ihn dieser Satz so ärgern konnte.
August wandte sich ab. Fred begleitete ihn nicht zu seiner Plantage. Er verspürte nicht die geringste Lust, sich irgendwelche Vorwürfe wegen der Pflanzen machen zu lassen. Stattdessen öffnete er den Brief. Susanne hatte ihn, wie beim letzten Mal, getippt und ausgedruckt.
Berlin, am 19 . Juli
Lieber Herr Firneis!
1 ) Danke für die Postkarte! Ich wusste gar nicht, dass es so was noch gibt. Die Papierschnipsel mit dem Schriftwerk habe ich ebenfalls erhalten. Ich werde bei Gelegenheit eine Collage daraus machen. Zum Lesen war das ja weniger geeignet. Angesichts Ihrer Handschrift dachte ich, Sie wollen mich verarschen. Ich konnte nur ein einziges Wort lesen (Realität), und das war durchgestrichen.
2 ) Den Vierzeiler konnte ich halbwegs entziffern. Seit wann reimen Sie?! Herr Firneis, gereimte Gedichte entsprechen den Anforderungen der Zeit nicht. Sowas kann ich nicht verkaufen! Der letzte, der in Reimen schrieb, war meines Wissens Klopstock, und der ist mindestens seit Jahrhunderten tot! Na gut, lassen wir noch Kästner gelten. Wenn Sie jetzt sagen, Sie wollen einen Retro-Band herausgeben, mit Haikus, Sonetten, Oden und Balladen, dann muss ich Ihnen sagen, da sind Sie zu alt dafür. Eine gutaussehende Zwanzigjährige mit einem gereimten Sonett, das lässt sich vermarkten, aber Sie! Firneis! Sie dürfen nicht reimen! Stellen Sie sich mal vor, was Sie im Spiegel und in der Süddeutschen über sich lesen würden. Tun Sie mir und vor allem sich das nicht an!
3 ) Zu Ihrem Satz: » Das, was mich am meisten daran hindert, in der Glückseligkeit des Seins aufzugehen, sind Worte .« Mit dem Halbsatz davor haben Sie ziemlich ins Schwarze getroffen, Firneis, nämlich: » Vielleicht hören Sie das als meine Verlegerin nicht gerne .« In der Tat, ich höre das nicht besonders gerne. Erstens denke ich als Ihre erste Lektorin, dass als adäquate Mehrzahl von Wort diesfalls » Wörter« zu gebrauchen wäre. Und zweitens wünsche ich Ihnen natürlich jede erdenkliche Glückseligkeit, aber können Sie die nicht anders erreichen als durch die Verbannung von Wörtern? Überlegen Sie mal, lieber Alfred – Sie schreiben sehr gut.
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