Liebe unter Fischen
werden beim Lieben getötet«, sagte Fred.
» Das ist die Natur .«
» Und was ist unsere Natur ?« , wollte Fred wissen. Die Liebe ist auch für uns gefährlich, dachte er, wir rennen ins Verderben, getrieben von unseren geheimen Sehnsüchten. Sollen wir sie alle fallen lassen, weil sie unvernünftig sind? Oder nicht weise genug? Sind wir nicht auf der Welt, um diese Sehnsüchte zu leben , eben weil wir die Möglichkeit haben, sie zu leben? Oder sind wir im Gegenteil hier, um ihnen zu widerstehen, zu entsagen? Die Religionen sagen: Entsagen. Widerstehen. Die netteren Religionen sagen: Erkennen, dass es sich bei diesen Sehnsüchten und Wünschen um Illusionen handelt. Aber wie sollen wir das erkennen? Und wie sollen wir die Weisheit, etwas nicht zu tun, von der Feigheit, etwas nicht zu tun, unterscheiden?
» Ist die Natur der Liebe tödlich ?« , fragte Fred nach.
» Die Natur der Mara ist, dazz sie Hunger hat«, sagte Mara.
» Ich mag hungrige Frauen. Wollen wir Raubfische fangen? Oder stört das deine wissenschaftlichen Versuche ?«
» Die Laichzeit ist vorbei. Durch den Regen ist das Wazzer abgekühlt .«
In einem Eck des Holzschuppens lehnte eine Angel. In einem Einmachglas daneben fanden sie Bleigewichte und Haken. Mit einer Geschicklichkeit, die ihn selbst ein wenig überraschte, bereitete Fred die Angel vor. Mara fischte eine Elritze von der Wasseroberfläche, die die Anstrengungen der Fortpflanzung nicht überlebt hatte. Die Methode mit dem toten Fisch als Köder erwies sich als äußerst erfolgreich.
Obwohl das natürlich streng verboten war, entzündeten sie ein kleines Lagerfeuer am Seeufer. Den Revierförster kannten sie schließlich, und bei dem hatten sie etwas gut. Der Tag war windstill, aber grau geblieben, und so wärmten sie sich an den Flammen, während sie ihre Haselnusszweige, die als Fischspieß dienten, über dem Feuer drehten. Später aßen sie, mit den Fingern, und erzählten sich Lagerfeuergeschichten aus Kindheitstagen.
Doch die Freude währte nicht lange. Maras Stimmung schlug um. Sie blieb seltsam einsilbig.
» Alles gut mit dir ?« , fragte Fred.
» Ich muzz fahren«, antwortete Mara.
» Du kannst gerne hier bleiben. Auch länger, wenn du willst«, sagte Fred.
» Ich bin nicht ich«, sagte Mara. Klang ihre Stimme anders?
» Ich bin auch durcheinander«, beruhigte Fred. » Und dass ich nicht ich bin, habe ich vor ein paar Tagen ganz deutlich gefühlt. Das Tolle daran ist, es stimmt. Das, was wir für unser Ich halten, ist ja nur die Abbildung des Blicks, den die anderen auf uns werfen. Mit der Zeit glauben wir, tatsächlich jene Person zu sein, für die uns die anderen halten. Wir glauben, die Rolle weiterspielen zu müssen, die die anderen für uns vorgesehen haben. Schlimmer noch, wir glauben, diese Rolle zu sein !«
» Genau das ist es, Alfred«, sagte Mara.
Als er sie » Alfred« sagen hörte, lief ihm ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Mara stand auf.
» Sehen wir uns morgen ?« , fragte Alfred.
Mara lächelte: » Bleib bitte sitzen. Ich hazze dramatische Verabschiedungen .« Sie reichte ihm die Hand, küsste ihn auf die Wange und hauchte etwas in sein Ohr, das sehr nett klang.
Dann lief sie allerdings blitzschnell den Pfad hinauf, zu ihrem Moped. Von oben winkte sie noch einmal. Sie hatte Tränen in den Augen. Als Fred das sah, rannte er den Abhang hinauf. Aber da war sie schon weg. Sollte er ihr nachfahren? Aber nein. Keine Abschiedsszene. Keine Verfolgungsjagd. Alles war so leicht. So schwerelos. Was sollte schon sein?
Fred schwamm eine große Runde durch den Elbsee. In der glatten Wasseroberfläche spiegelten sich die hellen Felsgipfel, die Wolken, der schwarze Wald. Fred zog eine Furche durch das Wasser, die sich hinter ihm wieder schloss. Schön, dass man im Wasser keine Spuren hinterlässt, dachte er.
Als er auf dem Steg saß, um zu trocknen, dachte er an Mara, und sein Brustkorb weitete sich. Er hatte Sehnsucht nach Mara. Mara.
An diesem Abend begann Alfred Firneis wieder zu schreiben.
Er schrieb in vier Stunden acht lange Gedichte. Er trank ein Glas Wasser, atmete vor der Hütte einmal tief durch, dann überarbeitete er die Gedichte zwei Stunden lang.
Er trank ein Glas Wein, drehte sich eine Zigarette, las die Gedichte noch einmal.
Brauchbar, dachte er.
Vielleicht sogar richtig gut.
23 . Juli
Elisabeth Halbig hatte die halbe Nacht mit sich gehadert. Sie war wütend gewesen, und außerdem traurig, verzweifelt, sie hatte geflucht und geheult.
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