Liebe unter kaltem Himmel
oder zwei Stunden nahm sie meine Aufmerksamkeit so vollständig und erschöpfend in Anspruch, wie es kleine Kinder können, bis sie wieder verschwand und mich unzufrieden mit meinem Dasein zurückließ. Denn da sie selbst vom Pech verfolgt wurde, dieses Eingeständnis, und sei es nur sich selbst gegenüber, aber für ein Zeichen von Schwäche gehalten hätte, musste sie »dies alles hier« nun besonders hochhalten, musste den Anschein erwecken, es sei ein vollkommener Ersatz für das, was sie verloren hatte, und dies gelang ihr nur, indem sie die Lebensumstände anderer Menschen schlechtmachte. Wahrscheinlich half es ihr sogar, denn anders kann ich mir die Gehässigkeit nicht erklären, mit der sie an meinem armen kleinen Haus und meinem schlichten Dasein herummäkelte und dabei eine solche Überzeugungskraft entwickelte, dass es oft tagelang dauerte, bis die Welt für mich wieder im Lot war.
Tagelang – oder bis zum nächsten Besuch von einem der Radletts. Die Radletts hatten auf mich nämlich genau die entgegengesetzte Wirkung, sie machten mich immer stolz und zuversichtlich, dank einer Gewohnheit, die innerhalb der Familie als »Gejubel« bezeichnet wurde.
»Fannys Schuhe …! Woher? Lilley and Skinner? Nichts wie hin! Und der schöne neue Rock! Kein neues Kostüm, lass mal sehen – nicht mit Seide gefüttert – Fanny! Du hast ein Glück, einfach unfair!«
»Oje, warum habe ich nicht auch solche Locken? Fanny ist einfach eine Wolke – diese Wimpern! Du hast ein Glück, einfach unfair!«
Die Jubelschreie, an die ich mich schon aus frühesten Kindertagen erinnerte, galten nun auch meinem Haus und meinem Haushalt.
»Die Tapete! Fanny! Dein Bett – das kann doch nicht wahr sein. Sieh doch mal, das süße Dingelchen von Belleek da – wo hast du denn das gefunden? Nein! Da müssen wir hin. Und ein neues Kissen! Einfach unfair, du hast ein Glück, dass du du bist.«
»Und Fannys Essen, Donnerwetter! Toast zu jeder Mahlzeit! Kein Yorkshirepudding! Warum können wir nicht für immer bei Fanny bleiben – himmlisch ist es hier! Warum kann ich nicht du sein?«
Es war ein Glück für meinen Seelenfrieden, dass Jassy und Victoria mich jedes Mal besuchen kamen, wenn ein Wagen nach Oxford fuhr, was ziemlich oft der Fall war, und ihre älteren Geschwister kamen immer vorbei, wenn sie unterwegs nach Alconleigh waren.
Als ich Lady Montdore näher kennenlernte, wurde mir klar, dass ihr Egoismus wahrhaft monumentale Ausmaße besaß, jeder ihrer Gedanken bezog sich irgendwie auf sie selbst, und sie konnte über kein Thema sprechen, ohne es mit viel Geschick so zu wenden, dass es direkt mit ihr zu tun hatte. Von anderen Leuten wollte sie nur eines wissen: welchen Eindruck sie bei ihnen hinterließ. Sie tat alles, um das herauszufinden, und unvorsichtigen Leuten stellte sie manchmal regelrechte Fallen, in die ich, naiv, wie ich war, leicht hineinstolperte.
»Ich nehme an, dein Gatte ist ein kluger Mann, jedenfalls hat Montdore mir das gesagt. Es ist natürlich jammerschade, dass er so furchtbar arm ist – mir tut es in der Seele weh, wenn ich dich in diesem Loch hier hausen sehe – und dass er keinen wichtigeren Posten einnimmt, aber Montdore sagt, ihm gehe der Ruf der Klugheit voraus.«
Sie war hereingeschneit, als ich gerade meinen Tee zu mir nehmen wollte, der heute aus ein paar großenteils zerbrochenen Vollkornkeksen und einer Küchenkanne auf einem Tablett bestand – ohne Teller. Ich hatte an diesem Nachmittag so viel zu tun, und Mrs Heathery, mein Mädchen für alles, ebenfalls, dass ich in die Küche gegangen war und mir das Tablett, so, wie es war, selbst genommen hatte. Wenn Lady Montdore auftauchte, war aus irgendeinem Grund immer gerade nicht der Tag mit Schokoladenkuchen und silberner Teekanne, obwohl es in dem sprunghaften Haushalt, dem ich als Anfängerin vorstand, auch solche Tage gab, unvorhergesehen zwar, aber doch ziemlich häufig.
»Ist das dein Tee? Also gut, meine Liebe, ja, aber nur eine Tasse bitte. Wie dünn du ihn trinkst – nein, nein, es geht schon! Ja, also wie gesagt, Montdore unterhielt sich heute beim Lunch mit dem Bischof über deinen Mann. Sie hatten etwas von ihm gelesen und schienen ziemlich beeindruckt, deshalb nehme ich an, dass er tatsächlich wirklich klug ist.«
»Oh, er ist der klügste Mensch, der mir je begegnet ist«, sagte ich glücklich. Ich sprach gern über Alfred – es war eine meiner liebsten Beschäftigungen und kam gleich hinter dem Zusammensein mit ihm.
»Nun,
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