Liebe unter kaltem Himmel
jetzt aussehe.
Wenn ich geglaubt hatte, Lady Montdore sei nun für immer aus meinem neuen Leben verschwunden, so hatte ich mich gründlich geirrt. Es dauerte keine Woche, da erschien sie schon wieder. Ich ließ die Tür zu meinem Haus meistens unverschlossen, wie auf dem Land, und Lady Montdore machte sich nie die Mühe zu klingeln, sondern stapfte einfach nach oben. Diesmal zeigte die Uhr gerade fünf vor eins, und mir war klar, ich würde das bisschen Lachs, das ich mir an diesem Tag gönnen wollte, mit ihr teilen müssen.
»Und wo ist dein Gatte heute?«
Dass sie meine Ehe missbilligte, zeigte sie dadurch, dass sie Alfred nie bei seinem Namen nannte. Für sie war er immer noch Mr Dingsda.
»Er isst im College zu Mittag.«
»Ach so? Auch gut, da braucht er meine unintellektuellen Reden nicht über sich ergehen zu lassen.«
Ich fürchtete schon, es werde wieder losgehen und sie sich noch einmal in Wut reden, aber offensichtlich hatte sie beschlossen, meine unglückselige Bemerkung als einen großen Witz zu behandeln.
»Ich habe Merlin erzählt, dass ich in Oxford nicht als Intellektuelle gelte«, sagte sie. »Du hättest sein Gesicht sehen sollen!«
Als Mrs Heathery dann den Fisch servierte, nahm sich Lady Montdore das ganze Stück. Keine lästige Rücksichtnahme veranlasste sie zu der Frage, was ich denn essen würde, und mir blieben ja auch tatsächlich noch ein paar Kartoffeln und der Salat. Sie war so nett zu bemerken, die Qualität des Essens in meinem Hause scheine sich zu verbessern.
»Ach ja, jetzt fällt mir ein, was ich dich fragen wollte«, sagte sie. »Wer ist diese Virginia Woolf, die du beim letzten Mal erwähnt hast? Auch Merlin sprach neulich bei Maggie Greville von ihr.«
»Sie ist eine Schriftstellerin«, sagte ich. »Genauer gesagt, eine Romanschriftstellerin.«
»Ich verstehe. Und da sie eine Intellektuelle ist, schreibt sie ohne Zweifel immer nur über Bahnhofsvorsteher.«
»Eigentlich nicht«, erwiderte ich.
»Ich muss gestehen, da ich selbst nun mal nicht zu den Superschlauen gehöre, sind mir Bücher über Leute aus der besseren Gesellschaft lieber.«
»Sie hat ein hinreißendes Buch über eine Figur aus der besseren Gesellschaft geschrieben«, sagte ich, »es heißt Mrs. Dalloway .«
»Dann lese ich es vielleicht mal. Ach, natürlich, ich vergaß – deiner Meinung nach lese ich ja nie, ich weiß nicht, wie du darauf kommst. Na, macht nichts. Würdest du es mir denn mal leihen, Fanny, falls ich diese Woche ein bisschen Zeit habe. Ausgezeichneter Käse, du kannst mir nicht erzählen, dass du den in Oxford bekommst, oder?«
Sie war an diesem Tag in ungewöhnlich guter Stimmung. Ich glaube, der Sturz des spanischen Throns hatte sie aufgemuntert, wahrscheinlich sah sie schon einen ganzen Schwärm von Infantinnen auf Montdore House zuflattern, jedenfalls genoss sie die Einzelheiten aus Madrid sehr. Sie sagte, der Herzog von Barbarossa (der Name stimmt vielleicht nicht ganz, aber er klang so) habe ihr die wahre Geschichte über die Vorgänge erzählt, sie habe alles aus erster Hand, aber dann musste der Herzog sie auch dem Daily Express erzählt haben, denn dort hatte ich das, was sie mir nun freundlicherweise mitteilte, schon vor ein paar Tagen Wort für Wort gelesen. Sie vergaß auch nicht, bevor sie sich verabschiedete, um mein Exemplar von Mrs. Dalloway zu bitten, und verließ mich dann mit dem Buch in der Hand. Es war eine Erstausgabe, und ich war sicher, dass ich sie nie wieder zu Gesicht bekommen würde, aber in der Woche darauf brachte Lady Montdore das Buch zurück und sagte, sie müsse demnächst auch mal ein Buch schreiben, es würde bestimmt viel besser als dieses hier.
»Ich kann so etwas nicht lesen«, sagte sie. »Hab’s versucht, es ist zu langweilig. Und bis zu der Figur aus der besseren Gesellschaft, von der du mir erzählt hast, bin ich gar nicht vorgedrungen. Aber hast du schon die Memoiren der Großherzogin gelesen? Ich werde dir mein Exemplar nicht leihen, du musst es dir selbst kaufen, Fanny, das bringt der guten Herzogin wieder eine Guinee mehr. Ein wunderbares Buch. Es steht sehr viel über Montdore und mich in Indien drin, fast ein ganzes Kapitel – sie hat bei uns im Vizekönigspalast gewohnt, weißt du. Sie hat die Atmosphäre dort wirklich erstaunlich gut erfasst, dabei war sie nur eine Woche dort, man selbst hätte es nicht besser machen können, sie beschreibt eine Gartenparty, die ich dort gab, und die Besuche in den Harems bei den Ranees, und
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