Liebe – wie im Maerchen
blickte ihn besorgt an. Trotz seines eher schüchternen und zurückhaltenden Wesens war Harry sich wie Raschid seines privilegierten Standes bewusst und konnte sehr dickköpfig sein.
"Sie können nicht einfach ..."
"Nein, Harry", mischte Evie sich ein. In einer Auseinandersetzung mit Raschid würde Harry in jeder Hinsicht den Kürzeren ziehen. Sie musste verhindern, dass ihr Freund das Gesicht verlor. Spontan ging sie zu ihm, berührte sanft seine Wange und lächelte ihn entschuldigend an. "Bitte, Harry, du hast genug für mich getan ..."
"Aber er..."
Diesmal brachte Evie ihn mit einem zarten Kuss auf den Mund zum Schweigen. Sie spürte Raschids wütenden Blick, dass sie es wagte, vor seinen Augen einen anderen zu küssen, doch sie ignorierte ihn einfach.
"Ich bin dir sehr dankbar, aber es ist wirklich besser, wenn du jetzt gehst. Bitte, Harry!" Sie blickte flehentlich in sein eigensinniges Gesicht.
"Und du kommst wirklich allein zurecht?" fragte er zweifelnd.
Evie nickte. "Ich rufe dich an", versprach sie rasch. "Heute noch."
Harry zögerte noch einen Moment und gab dann widerstrebend nach. Doch bevor er sich umdrehte, legte er Evie beide Hände auf die Schultern und küsste sie sacht zum Abschied. Dann nickte er Raschid frostig zu, verließ das Cottage und ging zu seinem Wagen.
Evies Erleichterung währte nur kurz, denn als sie sich nun Raschid zuwandte, verhieß sein Blick nichts Gutes.
"Wirklich rührend", sagte er spöttisch, betrat das Cottage und schloss die Tür hinter sich zu. "Angesichts solcher Szenen komme ich ins Grübeln, ob ich gestern Abend vielleicht die falschen Fragen gestellt habe."
"Ich kann mich nicht erinnern, dass du überhaupt irgendwelche Fragen gestellt hättest", erwiderte Evie verächtlich.
"Ach nein?" Er kam drohend auf sie zu. "Dann erlaube mir doch diese: Ist das Baby von mir?"
Evie blickte ihn ungläubig an. Maßlose Wut stieg in ihr auf. "Wie kannst du es wagen?" stieß sie gekränkt hervor.
"Beantworte meine Frage", befahl er kalt.
"Es ist nicht von dir", sagte sie, wandte sich ab und ließ ihn stehen.
Das Cottage war nicht groß. Im Erdgeschoss bestand es im Grunde nur aus einem großen Wohnraum, von dem die Küchenzeile durch eine Frühstücksbar abgeteilt war. Evie ging zum rückwärtigen Fenster und blickte starr hinaus in den kleinen Hinterhofgarten, der im Moment in herrlicher Blüte stand.
"Lügnerin", hörte sie Raschid hinter sich arrogant sagen.
Es überraschte sie nicht im Geringsten, dass er sie sofort durchschaut hatte. Sie drehte sich zu ihm um. Er hatte die Lederjacke ausgezogen und lehnte lässig an der Frühstücksbar.
Was für ein Mann! dachte Evie bewundernd, während sie den Blick langsam über ihn schweifen ließ. Für sie konnte es keinen anderen geben, und Raschid wusste das genau. Deshalb hatte er ihr die Lüge auch nicht abgenommen.
"Es geht das Gerücht, dass die Heirat mit der entfernten Cousine für dich in drohende Nähe rückt", sagte sie herausfordernd.
Seine goldbraunen Augen blitzten auf. Aber er leugnete es natürlich nicht. "Die Heirat mit Aisha hat mir immer gedroht, Evie.
Das hast du gewusst", antwortete er ruhig. "Ich habe nie versucht, es vor dir zu verbergen."
"Bis gestern Abend", entgegnete sie bitter.
"Bist du deshalb heute Morgen mit dem Marquis davongelaufen?
Weil du irgendein Gerücht gehört hast, das vielleicht zutrifft, vielleicht aber auch nicht?"
Er stritt es aber auch nicht ab. "Ich bin davongelaufen, weil ich einer weiteren hässlichen Szene mit dir aus dem Weg gehen wollte."
Raschid seufzte und wirkte plötzlich genauso müde wie sie. "Aber wir müssen darüber reden, Evie, das weißt du."
O ja, sie wusste es. Aber wenn Raschid von "reden" sprach, meinte er eigentlich "befehlen", und sie, Evie, sollte gehorchen. "Ich brauche Zeit, um mich zu entscheiden, was ich tun will", sagte sie leise.
"Zeit habe ich nicht", erwiderte er scharf.
"Weil dein Vater dir ein Ultimatum gestellt hat?"
Er zuckte die Schultern. "Da ich dich heiraten werde, hat sich die Frage, ob ich eine andere heirate, jetzt wohl erübrigt."
In Anbetracht seines Ranges und seiner Stellung war Evie sich da nicht so sicher,
Evie wandte sich ab und ging wieder in die Küche, um den elektrischen Wasserkessel einzustöpseln. Sie spürte, wie Raschid sie forschend beobachtete. Vermutlich wollte er abschätzen, was in ihr vorging. Aber es bedurfte keines besonderen Scharfsinns, ihn erkennen zu lassen, dass sie diese Lösung trotz seiner
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