Liebe wird oft überbewertet
ausverkauft und der Veranstalter überglücklich –, so kann es doch gut sein, dass man als Autorin auf einer Lesereise angemessen gewürdigt und besser behandelt wird.
Leider aber befinden sich Lesebühnen gerne in brachliegenden Industriearealen, die zu Kultur- und Ausgehzentren – Stichwort creative industries – umgestaltet wurden, und das Publikum bleibt solchen Orten gerne fern. Man liest und singt und redet trotzdem, der letzte Ton der Show verklingt, man eilt zum Büchertisch, signiert ein bisschen, der letzte Kunde geht: Geschafft! Feierabend! Jetzt ein Wodka Tonic und eine Zigarette! Man dreht sich um, der Raum ist ganz leer, die Tonleute haben schon alle Kabel zusammengerollt. Am Ausgang wartet die Veranstalterin mit dem Gagenumschlag, und so steht man um Viertel nach zehn an einem Samstagabend in einem menschenleeren Gewerbegebiet außerhalb Bremens.
Ein arg trostloser Moment! So trostlos kann es mit einer Band niemals sein – kein Mensch, nirgends, der trinken und dummes Zeug reden will. Wie oft hat man die Rockroutine verflucht, die blöden Promoter, hohlen Musikjournalisten, dämlichen Clubbetreiber, hat den großen deutschen Philosophen Hegel zitiert, der schon 1817 in seinen »Vorlesungen über die Aesthetik« den Musiker als den am wenigsten Geistigen – also sagen wir ruhig den Dümmsten – unter den Künstlern klassifizierte. Aber nach Einblick in den Literaturbetrieb kann man nur sagen: Im Feiern und geselligen Beisammensein ist der Musiker einfach ausdauernder und lebendiger, also zutiefst menschlich, und somit den anderen Künstlern, auch den Schriftstellern, weitaus überlegen.
Hamburg, 27 . April
Gestern war es gut. Der Pudelclub, die »Elbphilharmonie der Herzen«, war voll. Alle waren da, und hinterher gab es genug Auswahl zum Reden und Trinken.
Ach, es wäre doch zu schön, auf Tour immer nur in Hamburg, Berlin und Wien zu spielen. Notfalls noch in Köln, Leipzig, Stuttgart und Frankfurt, aber es geht halt leider nicht. Heute Morgen im Hotel kam es zu einer denkwürdigen Begebenheit.
Pärchen in Hotels
Es war kein schönes Hotel. Die Zimmer rochen muffig, die Teppichböden waren nicht direkt fleckig, aber doch zweifelhaft. Im Frühstücksraum tat man vornehmer, als das Hotel tatsächlich war. Parkett lag aus, die Möbel imitierten einen modernen Designer, das Buffet täuschte Frische und Reichhaltigkeit vor.
In diesem Hamburger Hotel, etwas außerhalb in Altona gelegen, bot man am Sonntagmorgen großzügigerweise Frühstück bis 10 . 30 Uhr an, und so hatte ich mich in jahrelang eingeübter Routine gerade noch rechtzeitig aus dem Tiefschlaf erhoben und um 10 . 25 Uhr an einen Tisch im Frühstücksraum geschleppt. Der Rest der Band war entweder schon da gewesen oder schlief noch, manche Mitmusiker leiden ja auch unter einer sehr schweren Morgendepression, so dass man ihnen zu dieser Zeit lieber aus dem Weg geht.
Die Blicke der anderen Hotelgäste ist man schon gewöhnt. Eine Frau über vierzig alleine am Frühstückstisch, mit ungekämmtem Haar und Schlaffalten im Gesicht – dazu ein bisschen unordentlich und eher geschlechtsneutral gekleidet –, da sind die Blicke nicht nur neugierig, sondern direkt feindlich.
Menschen in diesen nur halbguten Hotels bewegen sich immer so steif und gezwungen, als sei es ihnen peinlich, nicht zu Hause geschlafen zu haben, als gelte es, diese ungeheure Intimität durch möglichst förmliches Verhalten wettzumachen. Es fehlt ihnen die professionelle Freundlichkeit des gutsituierten Vielreisenden, aber auch die herrische Arroganz und falsche Selbstsicherheit des Geschäftsmanns.
Dabei ist die steife Unsicherheit dieser Leute sympathischer als die des männlichen Geschäftsreisenden, der sich nicht nur im Zug und im Flugzeug, sondern auch im Hotel aufführt, als gehöre ihm und seinesgleichen die Welt, als müsse er mit jedem Schritt betonen, in welch wichtiger wirtschaftlicher Mission er unterwegs ist.
Aber es war ja Sonntagmorgen, und so hatte man Ruhe vor diesem unsympathischen Menschenschlag. Der Frühstücksraum war fast leer, die meisten Gäste waren schon unterwegs in der Freien und Hansestadt.
Nur am Tisch gegenüber saß ein Paar im Freizeitlook. Sie waren in den »mittleren Jahren« um die vierzig. Er trug ein orangefarbenes Polohemd, sie eine gemusterte Bluse unter der Fleecejacke. Auf dem Tisch stand zwischen den Kaffeetassen eine Vase mit orangefarbenen Rosen, daneben eine Flasche Sekt einer recht preisgünstigen
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