Liebe wird oft überbewertet
lautet: Romantische Liebe ist eine kollektive Arena, in der die sozialen Teilungen und kulturellen Widersprüche des Kapitalismus ausgetragen werden. In ihren Untersuchungen bezieht sich die Soziologin auf die amerikanische Kultur und Geschichte.
Die Rolle der Massenmedien
Die kulturellen und ökonomischen Veränderungen zu Beginn des 20 . Jahrhunderts in den USA – Neuerfindungen wie das Telefon, die Hochgeschwindigkeitsdruckerpresse, das Radio, das Kino und die Fotografie markieren den Beginn der Massenkultur. Zeitungen, Zeitschriften, populäre Songs und Filme sicherten den allgemeinen Zugang zu ihr. Dadurch veränderte sich auch die Bedeutung von Liebe, sie wurde zunehmend in die Kultur der Massenmedien miteinbezogen.
Die noch neuen Medien beschäftigten sich ständig mit Gefühlen und ihrer Präsentation, um ein großes Publikum zu gewinnen. So wurde innerhalb kurzer Zeit die Vorstellung von inniger Zweisamkeit zu einer neuen amerikanischen Religion: Kein Kinofilm verzichtete auf eine Lovestory, und auch die neue Werbeindustrie verkaufte ihre Produkte über die Verheißungen romantischer Erfahrungen.
Zudem entzogen sich seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts junge Leute immer mehr der Kontrolle von Familie und Gesellschaft. Sie begegneten sich in Colleges und Hochschulen, die geltende puritanische Sexualmoral der Mittelschicht lockerte sich. Anstelle der klassischen Liebesbeziehung trat eine neue romantische Idee, in der sich Abenteuer, Erotik, Überraschung, Geschwindigkeit und Erregung mischten.
In ihrem Buch stellt Illouz die erotische Praxis des Rendezvous in den Mittelpunkt. Denn das Rendezvous hat die traditionellen Formen der Liebe, wie zum Beispiel das werbende Vorsprechen bei der Familie, abgelöst. Dadurch hat die Liebe im 20 . Jahrhundert die häusliche Privatsphäre verlassen. Sie wird in den Räumen der Vergnügungsindustrie, in Kinos, Bars und Tanzhallen zelebriert und hat so den Aufschwung der Freizeitindustrie eingeleitet. Die neue Romantik setzt Erlebnisse voraus, die durch Konsum herbeigeführt werden: Ins Restaurant gehen, Kinobesuche, Ausflüge, Geschenke kaufen.
Für die Autorin stellt die moderne »heterosoziale« Freizeitwelt, die um das Ideal der freien Partnerwahl und der individuellen Liebe herum entstand, eine Errungenschaft dar. Sie sieht aber auch die Folgen: Die buchstäbliche Vermarktung der Romantik.
So wurde die Liebe von der Religion und der kirchlichen und staatlichen Einflussnahme befreit, ist aber gleichzeitig selbst zur neuen Religion geworden. Die zunehmende Bedeutung des Themas Liebe in der Massenkultur – vor allem im Film und in der Werbung – führte zur Verherrlichung des Liebesthemas als höchster Wert und der Gleichsetzung von Liebe und Glück. Intensität und »Spaß« wurden zu neuen Definitionen von Liebesromantik, Ehe und häuslichem Leben.
Illouz beschreibt, wie im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts die »Romantisierung der Waren« dazu führte, dass die Aura des Produkts dessen konkreten Nutzwert überlagerte: Romantik, fortan über luxuriöse Produkte kommuniziert, fiel damit der Verdinglichung anheim: »Liebe wird zum Ausgangspunkt für vielfältige Konsumakte, die sich gegenseitig stärken.«
Der Tausch von Waren und Geld fand so nicht mehr wie früher zwischen den Familien der Liebenden statt, sondern über den anonymen Markt und durch konsumierbare Waren des Freizeitkonsums.
Aber Illouz untersucht auch die gegenwärtigen Formen der Liebe. Die Soziologin führte Einzelinterviews mit fünfzig Menschen aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten und befragte sie zu ihren »romantischen Augenblicken«. Die Analyse der Träume und Sehnsüchte der Studienteilnehmer zeigt in erschreckender Weise die Macht der Konsumsphäre.
Romantische Liebe gilt allen als einzigartiges Gefühl, aber die besonderen Augenblicke entstanden bei allen Befragten doch auf stereotype Weise – durch das Aufladen von Alltagsgegenständen mit Emotionen. Spezielle Musik, Speisen, Beleuchtung intensivieren die Gefühle der Beteiligten, weshalb die Liebesromantik auch mit religiösen Ritualen vergleichbar ist. Vor allem Luxusgüter und Reisen sind romantischen Gefühlen sehr förderlich. Der Gebrauch von Luxuswaren schafft den schönen Augenblick, erhöht die emotionale Verbundenheit und verstärkt die Kommunikation. Eine wichtige Rolle spielen auch fremde, exotische Orte.
So steuert der Konsum selbst die Handlungen, die uns als antikonsumistisch und
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