Liebe wird oft überbewertet
subversiv erscheinen. Die Bilderwelt des Kapitalismus hinterlässt Spuren: Einsame Strände und andere unberührte Naturlandschaften, die wir den Werbespots entnehmen, bebildern unsere zeitgenössischen kollektiven Träume, in denen die Sehnsucht nach romantischen Utopien in temporären Ritualen (sogenannten Schwellenritualen) ausgelebt wird. Am Naturstrand in Mexiko oder in einem Pariser Boheme-Café befriedigt insbesondere die Mittelklasse ihre »universellen Sehnsüchte nach Authentizität, Freiheit und Gefühl«. Abgesichert ist der rituelle Ausbruch aus der Monotonie des Alltags durch die Kreditkarte.
Bei den befragten Personen mit hohem Bildungsniveau, die sich bewusst von Produkten der Massenkultur distanzieren, fielen die Antworten genauso stereotyp aus – sie betonten lediglich noch mehr die materiellen Aspekte.
Der Markt hat sich unsere antikonsumistisch-romantischen Gefühlswelten längst einverleibt, lautet Illouz’ Diagnose.
Liebe und Kapitalismus
Nun ist Eva Illouz nicht die erste und einzige Wissenschaftlerin, die zu dem Schluss gekommen ist, dass Kapitalismus, Konsum und romantische Liebe sehr gut zueinander passen und sich gegenseitig bedingen.
Friedrich Engels verdammte in seiner Schrift »Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staates« von 1884 die Familie von der griechischen Antike bis zum bürgerlichen Zeitalter, weil sie die Frauen den Männern unterwerfe und das Privateigentum durch das Erbrecht schütze.
Für Engels war die monogame bürgerliche Ehe eine heuchlerische Illusion, eher auf Klassenordnung als auf Gefühl gegründet, und letztendlich eine Sache der Konvention und nicht der Liebe.
Nur in der Arbeiterklasse, die materiell nichts zu gewinnen und nichts zu verlieren habe, könne sich wahre romantische Liebe entwickeln, schrieb Engels. Schon im »Kommunistischen Manifest« von 1848 führten Marx und Engels aus, dass Familie und Liebe nur in einer kommunistischen Gesellschaft, die von Privateigentum und Gewinnstreben, von Herrschafts- und Interessenbeziehungen befreit sei, existieren könnten.
Der Soziologe, Wirtschaftshistoriker und Sozialist Werner Sombart untersuchte in seinem 1912 erschienenen Buch »Liebe, Luxus und Kapitalismus« die Ursachen für die Entstehung des Kapitalismus seit dem Mittelalter.
Vor allem in der Produktion von Luxusgütern und im Heereswesen sieht er Gründe für die Revolutionierung der Ökonomie und die Veränderung der Nachfragestrukturen. Als Grund für die vermehrte Luxusnachfrage sieht er das Mätressentum an den Höfen: Im ausgehenden Mittelalter entstehen zuerst in Italien, dann in Frankreich größere Fürstenhöfe, deren weltliche Herrscher nach dem Vorbild der Kirchenfürsten leben, dem päpstlichen Prunk nacheifern wollen. Ab dem späten 13 . Jahrhundert brachte die Plünderung des Orients und die Entdeckung der Edelmetallvorkommen in Afrika Reichtum nach Europa, der erstmals nicht mehr auf Grundbesitz gegründet ist. Daraus entsteht ein neues höfisches Leben und ein neuer Adel – wohlhabende Bürgerliche werden in den Adelsstand aufgenommen. Das Mätressentum am Hofe bildet sich aus und wird gesellschaftsfähig. Die notwendige Voraussetzung für den Unterhalt der Mätressen liegt in einer enormen Luxusentfaltung. Sombart betont den Einfluss der Geliebten und Konkubinen auf die Gesellschaft: Der beginnt bei der Beeinflussung von Moden – denn die Ehefrauen mussten sich wohl oder übel bemühen und den Moden nacheifern, wollten sie von den Konkubinen nicht vollends in die Bedeutungslosigkeit gedrängt werden – und reicht bis zum Einfluss auf das gesamte gesellschaftliche Geschehen – auf die Fürsten, die für ihre Geliebten Schlösser bauen, auf die Luxusindustrie, die etwa von der Zuckersucht der Mätressen lebte und von der Lust auf feine Stoffe und Materialien.
Auf die Situation in Deutschland sind diese Beobachtungen aber kaum übertragbar. Bezeichnenderweise gibt es für Begriffe wie Kurtisane, Konkubine, Mätresse oder Cortegiana kein deutsches Wort, nur den wenig eindeutigen Begriff der Geliebten.
Die Wissenschaftler der Frankfurter Schule, die an die Theorien von Marx, Hegel und Freud anknüpften, entwarfen eine Kapitalismuskritik, in der die Liebe einen Ehrenplatz einnahm.
So befand Herbert Marcuse, das erotische Verlangen könne und müsse von den psychischen und ökonomischen Anforderungen des kapitalistischen Produktionssystems befreit werden.
Erich Fromm folgte Marcuses Kritik, lieferte
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