Liebe wird oft überbewertet
Marke. Sie trank hin und wieder in kleinen Schlucken davon, ganz langsam, als müsse sie sich zwingen. Aber das Glas wollte nicht leerer werden.
Sie wirkte unsicher und unglücklicher als er. Er schien zwar auch peinlich berührt, aber irgendwie strotzte er vor dem Gefühl, etwas Richtiges, wenn auch Ungewohntes gemacht zu haben. So sahen sie lange, minutenlang, aneinander vorbei, er schaute zur Glasfront hinaus, begutachtete fachmännisch das Etikett des Billigsekts, sie strich die Tischdecke glatt, machte eine Bemerkung übers Wetter. Es war ein schöner Tag, aber diesen Tisch umgab eine maßlose, sprachlose Trauer.
Was war das bloß für eine traurige Veranstaltung? Eine Scheidungsaussprache? Aber dann mit Rosenpräsent und Sektfrühstück? Eine Überraschung – eine Städtereise zur silbernen Hochzeit? Ein Ehe-Wiederbelebungsversuch, wie ihn die Frauen- und Männerzeitschriften gerne vorschlagen?
»Nehmen Sie sich Zeit füreinander, machen Sie eine Städtereise, fahren Sie in ein hübsches Hotel, verwöhnen Sie Ihren Mann, Ihre Frau. Lassen Sie gemeinsam die Erinnerung an die erste Zeit der Verliebtheit wiederaufleben!«
Für diese problematischen Fälle wurde wahrscheinlich das Genre »Romantikhotel« erfunden. Bei den »Wochenend-Arrangements für Verliebte« steht dann nach dem Candle-Light-Dinner am ersten Abend eine Flasche Sekt gratis im Zimmer.
Bei diesem freudlosen Paar hatte das Romantikwochenende wohl nicht gezündet. Lange saßen sie noch schweigend da, sie schien nach Gesprächsthemen zu suchen, wollte freundlich sein. Er hatte doch wohl das mit den Rosen, dem Sekt arrangiert und bezahlt!
Dann sagte er endlich etwas, sie nickte erleichtert, beide standen auf. Er erhob sich schwerfällig und stampfte voraus, mit diesem typisch männlichen Selbstbewusstsein, bei dem man sich immer fragt, wo es eigentlich herkommt und auf was es sich bloß gründet. Die kleine Frau hob die schwere Kristallvase mit dem Wasser und den Rosen vom Tisch und trug sie wie eine Urne vor sich her, folgte ihm tapfer mit einigem Abstand. Eine Trauerprozession.
Geld und Liebe
Gerade in Restaurants, im Urlaub und in Hotels kann man die traurigsten Pärchen sehen. Frauen, die sehnsüchtig das Besteck streicheln, träumerisch die Tischdecke befühlen, Männer, die minutenlang die Wandstruktur analysieren, falls sie kein iPhone zur Hand haben, um halbminütlich den Eingang neuer Nachrichten zu kontrollieren.
»Bored Couples« nennt der britische Fotograf Martin Parr seine Ausstellung: Fotos von Paaren, die sich stumm und mit erstarrten Gesichtszügen an Tischen gegenübersitzen. Vor dem Bored-Couples-Syndrom hatte Freiherr von Knigge bereits 1788 gewarnt:
»Wichtig ist die Sorgfalt, welche Eheleute anwenden müssen, wenn sie sich so täglich sehen und sehn müssen und also Muße und Gelegenheit genug haben, einer mit des andern Fehlern und Launen bekannt zu werden und, selbst durch die kleinsten derselben, manche Ungemächlichkeit zu leiden; wichtig ist es, Mittel zu erfinden, sich dann nicht gegenseitig lästig, langweilig, nicht kalt, gleichgültig gegeneinander zu werden oder gar Ekel und Abneigung zu empfinden.«
Martin Parr: Bored couple
Die Ökonomie der Romantik
Dabei ist das »Essen gehen«, der Restaurantbesuch, doch ein Grundpfeiler der romantischen Zweierbeziehung. Das weist die israelische Soziologin Eva Illouz in ihrer Studie »Der Konsum der Romantik« nach, in der es um das Verhältnis von Liebe und Kapitalismus geht und darum, wie Liebe und Konsum voneinander abhängen und sich gegenseitig verstärken.
Die landläufige Konsumkritik geht ja immer noch davon aus, dass exzessiver Warenkonsum und romantische Liebe sich widersprechen. Manche Liebesforscher behaupten sogar, die Liebe wäre die letzte Bastion gegen die Kälte des Kapitalismus und die Erfordernisse der neoliberalen Gesellschaft. Ihnen gilt die romantische Liebe als das letzte noch verbliebene Refugium von Authentizität und Wärme – sie glauben, der Liebe, dieser wichtigsten Ideologie unserer Zeit, wohne eine subversive Kraft inne.
Illouz behauptet hingegen, »dass die modernen Definitionen und Praktiken der Liebesbeziehung eng mit dem Konsumkapitalismus verknüpft sind«. Romantische Liebe sei zu einem intimen, unentbehrlichen Teil des demokratischen Wohlstandsideals geworden, das mit dem Aufkommen des Massenmarktes entstanden ist, denn sie biete eine kollektive Utopie, die quer zu allen sozialen Teilungen verlaufe.
Illouz’ Grundthese
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