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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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Tieren zu bestimmen, wie sollen wir dann die Anzeichen eines reflexiven Bewusstseins bei Kreaturen aufspüren, die seit langem tot sind? Das Bewusstsein ist in der archäologischen Überlieferung sogar noch weniger sichtbar als die Sprache.« 7
    Das ist aus Sicht der evolutionären Psychologen eigentlich eine deprimierende Nachricht. Umso erstaunlicher ist es, dass es ihren Elan bei der Erklärung unseres steinzeitlichen Verhaltens kaum zu bremsen scheint. In Fragen von Mann und Frau, von Sex und Bindungsverhalten gehen sie mit größter Selbstverständlichkeit von unterschiedlichen »Denkorganen« aus. »Zu Zeiten der Urmenschen sahen sich beide Seiten in Sachen Sexualität grundverschiedenen Problemen ausgesetzt. Daher entwickelte sich das Gehirn bei Männern und Frauen anders, so dass die Kriterien für Partnerwahl, Reaktionen auf Untreue und sexuelles Begehren ebenfalls bei beiden Geschlechtern verschieden sind«, schreibt William Allman. 8 Wäre das richtig, so wären auch die Gehirne von Männchen und Weibchen bei Tieren sehr unterschiedlich. Eine Löwin, die sich von morgens bis abends um ihre Jungen sorgt, hätte ein anderes Gehirn als ein Löwe, der das Rudel anführt und sich um seinen Nachwuchs nur sehr gelegentlich kümmert. Auffallende Unterschiede zwischen den Gehirnen der Geschlechter im Tierreich sind aber nicht bekannt. Mit den »Geschlechtsorganen im Gehirn«, wie Allman sie nennt, ist das also so eine Sache. Und dass neben dem Fortpflanzungstrieb auch unsere »Liebe und Libido« aus der Steinzeit stammen, bleibt eine mutige Behauptung.
    Mit Liebe, so scheint es, befasst sich ein evolutionärer Psychologe auch nur ungern. Allmans Buch über die »Mammutjäger in der Metro« enthält zwar ein Kapitel über die »Evolution
der Liebe«, aber von Liebe redet er darin nicht – es geht nur um Sex. Denn Sex, so Allman, war in der Steinzeit das Allerwichtigste: »Diejenigen, die nicht so handelten – und beispielsweise ihre gesamte Zeit und Energie dafür verwandten, Rezepte für Mammuteintopf zu entwickeln oder ihren Sexualtrieb an Bäumen abreagierten -, hinterließen keine Nachkommen.« 9
    Während sich ein evolutionärer Psychologe die Sexualität unserer Vorfahren recht einfach vorstellen kann, macht er um die Liebe gern einen Bogen. Doch wenn es richtig ist, dass wir heute ein steinzeitliches Programm abspulen und uralte »Module« im Kopf tragen, ist dann nicht auch die Liebe ein solches »Programm«? Gibt es ein »Liebesmodul« in unserem Gehirn? Und wenn ja – zu welchem Zweck?
    Ganz gewiss, versichert der evolutionäre Psychologe, gibt es ein »Liebesmodul« für den Umgang mit dem Nachwuchs ebenso wie zwischen den Geschlechtern. Aber was will man schon darüber sagen und wissen? Immerhin haben wir bis heute keine Liebesgedichte aus dem Neandertal und auch keine versteinerten Liebespaare gefunden.
    Doch haben wir denn andererseits tatsächlich aussagekräftige Zeugnisse von den sexuellen Vorstellungen und Neigungen unserer Ahnen? Ein paar grobschlächtige dicke Damen aus der Jungsteinzeit, aus Stein gemeißelt oder aus Ton geformt, haben große Brüste und breite Becken. Sie tragen malerische Namen wie die »Venus von Willendorf«, aber über ihre Funktion können wir nur spekulieren. Im Gegensatz zu den vielen tollen und erstaunlich präzisen Tierfiguren aus dieser Zeit verraten die Künstler hier auffallend wenig Geschick. Und Ähnlichkeiten mit real existierenden Steinzeitfrauen scheinen weder gemeint noch beabsichtigt. Überdies entstanden sie erst im Holozän, dem Abschnitt der letzten zehntausend Jahre; einer Zeit also, die gemäß evolutionärer Psychologie für die Ausprägung unserer Biologie nicht mehr wirklich interessant ist.
    Über Funde aus der Steinzeit kommen wir an die Sexualität,
das Paarverhalten und die Liebesgefühle unserer Vorfahren kaum heran. Das Einzige, was den evolutionären Psychologen bleibt, ist deshalb der Blick auf zeitgenössische Kulturen, deren Lebensstil früheren Jäger- und Sammlergemeinschaften gleichen könnte. Doch auch unberührte »Naturvölker« sind heute ausgesprochen schwer zu finden und zu erforschen. Denn die Lebensbedingungen heutiger Jäger- und Sammlerkulturen sind mutmaßlich kaum noch die gleichen wie vor mehr als 10000 Jahren. Der Kolonialismus des späten 19. Jahrhunderts erspähte wohl jeden bislang noch abgelegenen Winkel, zerstörte alle Stammeskulturen, schleppte Krankheiten ein, versklavte Völker oder verwüstete ihre

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