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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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seine ganze Lebenszeit damit zubringt, in jedem dieser Abschnitte sich mit sich selbst zu begatten.« 12
    Das Sexual- und Bindungsverhalten des Menschen aus der Beobachtung von Menschenaffen abzuleiten gleicht also oftmals
einer zoologischen Kaffeesatzleserei. Der Trick dabei scheint darin zu bestehen, sich immer gerade den Affen herauszusuchen, der am besten in das Menschenbild des Naturforschers passt. Lange Zeit waren vor allem Schimpansen in Mode. Konservativen Biologen wie Konrad Lorenz waren sie der Beweis dafür, dass der Mensch von Natur aus brutal, hinterlistig und machtbesessen ist. Als in den 1980er Jahren der Bonobo besser erforscht wurde, sammelten sich hinter dem kleinen Hippie-Affen die Verfechter von sex and peace als der angeblich wahren menschlichen Natur.
    Mithilfe von heutigen Regenwaldbewohnern im steinzeitlichen Urnebel unseres Sexual- und Liebesverhaltens zu stochern, ist also eine ziemlich wackelige Angelegenheit. Dass die evolutionäre Psychologie es auf diese Weise schafft, »die geistigen Mechanismen zu erklären«, die definieren, »was es bedeutet, Mensch zu sein«, wie David Buss es sich wünscht, ist eher unwahrscheinlich. 13 Denn »da es keine Menschen ohne Kultur gibt, kann man unmöglich wissen, wie unsere Sexualität ohne solche Einflüsse aussehen würde«, schreibt der niederländische Primatenforscher Frans de Waal. »Die ursprüngliche menschliche Natur ist so etwas wie der Heilige Gral: seit Ewigkeiten gesucht, niemals gefunden.« 14
    Eine besondere Crux im Rahmen unseres Themas, so scheint es, ist die nahezu untrennbare Vermischung von Liebe mit Sexualität. Bestürzend nämlich ist, dass Buss’ 600 Seiten starkes Standard- und Überblickswerk Evolutionäre Psychologie der menschlichen Sexualität 180 Seiten widmet, der Liebe hingegen gerade einmal zwei Seiten! »Die Liebe«, heißt es dort, »ist vielleicht der wichtigste Hinweis auf den tatsächlichen Bindungswillen.« 15
    Das ist in der Tat eine schmale Definition. Ob sie die »geistigen Mechanismen« erklärt, die man unter Menschen »Liebe« nennt? Es ist sicher richtig, dass Liebe oft mit einem Bindungswillen einhergeht. Wer jemanden liebt, wird sich häufig auch
mit ihm zusammentun wollen. Aber man kann wohl auch lieben und die nähere Bindung gleichwohl für aussichtslos halten. Zum Beispiel, weil man ahnt oder weiß, dass man trotz der Gefühle füreinander nicht gut zusammenpasst. Oder man möchte sich nicht binden, weil man anderweitig gebunden ist und wartet ab, bis das Gefühl wieder verfliegt und so weiter. Der folgende Satz ist deshalb eher eine lose Behauptung, die zutreffen kann oder auch nicht: »Die Aktivitäten, die als grundlegende Bestandteile der Liebe angesehen werden, signalisieren die Bindung sexueller, wirtschaftlicher, emotionaler und genetischer Ressourcen an einen Partner.« 16
    Was bei dieser Erklärung fehlt, ist ein Wort darüber, warum es dieses Gefühl der geschlechtlichen Liebe überhaupt gibt. Sollte eine Wissenschaft, die »die geistigen Mechanismen erklären« will, »die definieren, was es bedeutet, Mensch zu sein«, nicht zumindest den Versuch wagen zu erklären, was die Liebe eigentlich ist? Einen solchen Versuch aber gibt es bei Buss nicht. Frei nach dem Motto: »Über die Liebe redet man nicht, man setzt sie voraus.« Und das, obwohl sie in der menschlichen Psyche einen so gewaltigen Raum einnimmt wie nur wenige andere Gefühle und Vorstellungen!
    Ein möglicher Grund dafür könnte sein, dass sich die Liebe zwischen den Geschlechtern mit den gewählten Methoden der evolutionären Psychologie gar nicht erfassen lässt. Und was ich mit meinem Netz nicht fangen kann, ist eben kein Fisch! Der Verdacht könnte sein, dass die menschliche Liebe zwischen den Geschlechtern so viel mit der Evolution von Kultur zu tun hat, dass alle Versuche einer Naturgeschichte der Liebe fehlschlagen müssen.
    Es mag wohl richtig sein, dass der Großteil der Evolution unseres Gehirns sich in grauer Vorzeit entwickelte, lange bevor es überhaupt so etwas wie menschliche Wesen gab. Aber ohne ein Verständnis der kulturellen Evolution des Menschen bleibt sehr viel Wesentliches im Nebel. Denn, wie der Vordenker einer
»humanistischen« evolutionären Psychologie, der Zoologe und Wissenschaftspolitiker Julian Huxley, bereits in den 1960er Jahren etwas pathetisch schrieb: »Der psychosoziale Prozess – mit anderen Worten der evolutionierende Mensch – ist ein neues Evolutions stadium ,... das sich von der

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