Liebe
aus den Kindertagen der evolutionären Psychologie. Doch auch heute noch geht es dort oft genug lustig zu. In Unkenntnis der Vorzeit sind der schöpferischen Phantasie von Evolutionsbiologen oft wenige Grenzen gesetzt. Der US-amerikanische Wissenschaftsjournalist William Allman, der sich über Morris’ Theorie herzlich amüsiert, tischt gleich darauf seine eigene Phantasie auf: »Große Brüste entstanden viel wahrscheinlicher als Teil einer weiblichen Taktik, um ihre Sexualpartner >bei der Stange zu halten<. Da angeschwollene Brüste Symptome einer Schwangerschaft sind, signalisieren sie dem Mann, dass seine Partnerin nicht mehr empfängnisbereit war; daher konnte er sich nun auf die Suche nach anderen Frauen machen, während die von ihm >begattete< Frau ungeschützt und auf sich selbst gestellt zurückblieb. Mit ganzjährig vergrößerten Brüsten signalisieren Frauen ständig >Ich bin schwanger<, selbst wenn das nicht
zutrifft, so dass dieses Signal seinen Wert für den Mann verliert. Als Folge halten die Männer ihren Teil des >Reproduktionsabkommens< ein, bleiben bei ihren Frauen und helfen ihnen bei der Aufzucht.« 6 Wie eine »Taktik« sich entwicklungsgeschichtlich zu einem körperlichen Merkmal ausprägen soll, bleibt wohl auf immer Allmans Geheimnis, denn »Taktiken« können sich nach gegenwärtigem Stand der Genetik weder vererben noch irgendwie körperlich niederschlagen. Auch dass große Brüste die Treue fördern und zur Aufzucht von Kindern motivieren, ist eine ziemlich drollige Idee.
Es ist schon ein kurioser Sport der evolutionären Psychologen, überall steinzeitliche Verkehrsschilder aufzustellen und zu interpretieren. Als kleiner Einwand sei nur gefragt: Wer sagt eigentlich, dass jedes Merkmal von Lebewesen eine Funktion haben muss? Reicht es denn nicht aus, dass bestimmte, mitunter zufällige Merkmale ihre Träger einfach nur nicht gestört und ihr Überleben nicht beeinträchtigt haben, so dass sie bis heute erhalten geblieben sind? Dieser Gedanke wird uns im Folgenden noch beschäftigen. Was die weibliche Brust anbelangt, so könnte zum Beispiel der gegenüber der frühen Vorzeit erhöhte Fleischverzehr durchaus eine Rolle gespielt haben. Fleischessen regt bekanntlich die Hormonproduktion an. Durchaus möglich also, dass es eine Verbindung gibt zwischen den im Durchschnitt größeren Brüsten von Frauen in regen Fleischfresser-Gesellschaften (wie beispielsweise in den USA) gegenüber durchschnittlich weniger Busen in stärker vegetarisch ausgerichteten Kulturen (wie beispielsweise in Südasien). Mit Sexstellungen, Monogamie und anderen evolutionsbiologischen Funktionen hätte das absolut gar nichts zu tun.
Wer den heutigen Menschen erklären will, indem er ihn auf »einfachere« Formen reduziert, auf Fixpunkte in der Vergangenheit, steht allgemein vor vier großen Schwierigkeiten: Er muss sich fragen, ob alles, was die Natur hervorbringt, und damit auch der Mensch, tatsächlich bio-logisch erklärt werden kann.
Biologen, Naturwissenschaftler allgemein, suchen überall in der Natur nach Logik. Aber Logik selbst ist keine Eigenschaft der Natur, sondern eine Fähigkeit des menschlichen Denkens. Man darf also fragen: Ist es eigentlich logisch, hinter allem in der Natur eine logische Erklärung zu vermuten?
Die zweite Schwierigkeit betrifft die genaue Kenntnis der Umweltbedingungen des Menschen in der Steinzeit. Waren diese überall gleich? Standen Vormenschen im Regenwald vor den gleichen Herausforderungen wie in der Steppe oder am Meer?
Der dritte Punkt ist die enorme Schwierigkeit, biologisches von kulturellem Verhalten überhaupt trennen zu können, und das auch noch bei einem Zeitraum vor zigtausend Jahren, von dem wir nicht allzu viel wissen.
Die vierte Schwierigkeit schließlich besteht darin zu zeigen, dass jene Merkmale und Verhaltensweisen, die wir für angeboren halten, tatsächlich als Folge von Anpassungen an die Umwelt der Steinzeit entstanden sind, wie die evolutionären Psychologen meinen. Wir müssen also im Rahmen unseres Themas die Frage beantworten: Wie war’s denn so mit der Liebe in der Steinzeit?
Die Liebe und das Pleistozän
Die Zeit, mit der wir es bei der biologischen Entstehung des Menschen zu tun haben, ist das Pleistozän, der vorletzte Abschnitt der Erdneuzeit. Gemeint ist die Zeit von vor etwa 1,8 Millionen Jahren bis vor 11500 Jahren. Bekannter ist der Name Eiszeitalter, denn im Pleistozän ereigneten sich gleich mehrere Eiszeiten.
In der Frühzeit des
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