Liebe
ausübt, kann sich seinen Traumpartner meist nicht aussuchen. Die Tatsache, dass die Möglichkeiten für attraktiv empfundene Menschen heute größer sind, als sie je waren, ist für die als unattraktiv Empfundenen keine Chance, sondern ein Fluch. Denn der Markt ist zwar offen, vielfältig und frei – aber er ist nicht fair.
Für andere Singles, die den Unabhängigkeitsdrang über die Paarbeziehung stellen, liegt der Ausgangspunkt häufig in einer Lebensphase, in der Karriere wichtiger ist als Bindung. Bedauerlicherweise verpasst man so nicht selten den richtigen Zeitpunkt. Die Großstädte der westlichen Welt sind voll vor allem von Frauen, die ihre Karriere auf Kosten einer Familie gemacht haben, ohne dass ihr Lebensweg von vornherein auf Verzicht programmiert war. Lange Phasen ohne Beziehung aber führen zur Entwöhnung beziehungsweise zum Arrangement mit der gegenwärtigen Situation. Aller Impuls soll nun vom erträumten anderen kommen. Doch der Märchenprinz, der vonnöten wäre, um das erstarrte Dornröschen wach zu küssen, hat dazu zumeist keine Lust. Die Märchenprinzessin im umgekehrten Fall auch nicht.
Nicht verwunderlich in dieser Lage, dass seit den 1980er Jahren das Single-Konzept immer wieder neu aufgewertet wurde, als swinging singles, oder zuletzt als Quirkyalones - als »Eigenartige Alleinstehende«. Die wahre Romantik, so die These der US-Autorin Sasha Cagen, liegt nicht in nervtötenden Beziehungen, sondern in der unerfüllten Sehnsucht. Schmachten ist romantischer als lieben – an diesem Punkt reichen sich die Frühromantik mit ihrem unerfüllten Sehnen in der Literatur und die Spätromantik mit ihren US-amerikanischen Fernsehserien die Hand. Der Berliner Autor Christian Schuldt hat dieses Phänomen der glücklichen Single-Existenz anhand von Fernsehserien
sehr schön vorgeführt: bei Ally McBeal und Sex and the City. Finanziell unabhängige konsumgeile Romantikerinnen probieren zwar immer wieder Sex ohne Liebe, aber letztlich sehnen sie sich wie Carrie & Co nach »Mr. Big«, dem Märchenprinzen. Die besondere Leistung dieser Serien, so Schuldt, liegt in der Entdeckung des weiblichen Single als Star. Die meisten weiblichen Singles sind nämlich finanziell besser gestellt als ihre männlichen Schicksalsgenossen. Das naheliegende Fazit: weibliche Singles sind zu anspruchsvoll, männliche Singles zu doof.
In den Zeiten des Niedergangs der New Economy, so Schuldt, hätten die Single-Serien allerdings rasant an Verführungskraft verloren. Der Lebensentwurf: reich, geil und sehnsüchtig überzeugt nicht mehr. Heute, vier Jahre nach Schuldts Buch, kommt auch noch die Finanzkrise dazu. Die Fernsehstars der Zukunft sind wohl keine liebeskranken Yuppies, sondern glückliche Arme: romantische Hartz-IV-Empfänger im Liebesrausch. Der Single als aus der Not geborenes Ideal hat ausgespielt.
Geben wird es den Single aber natürlich weiterhin. Lebenssituationen lassen sich nicht austauschen wie Fernsehserien. Die Wahrscheinlichkeit, dauerhaft mit ein und demselben Partner glücklich zu werden, hat unverändert abgenommen. Zumindest zwischendurch Single zu sein, ist eine ganz normale Erwartung in der Gegenwart wie in der Zukunft.
Eine denkbare und häufig praktizierte Lebensform ist damit die »serielle Monogamie«. Die Anthropologin Helen Fisher, die hierin die ursprüngliche Lebensform unserer Vorfahren in der Savanne wiederfinden möchte, kann sich darüber freuen: Man bleibt drei, vier Jahre zusammen, dann sind die Kinder aus dem Gröbsten raus. Und wenn keine echten Kinder da sind, dann sind es halt die »Geisteskinder«, die gemeinsamen Wünsche, Ideen und Utopien. Sie nutzen sich im biologischen Drei- bis Vierjahresrhythmus genetisch bedingt ab. Kein Wunder also, meint Helen Fisher, dass wir heute zur seriellen Monogamie zurückkehren.
Wie gesehen ist diese Vorstellung allerdings kaum mehr als eine Anthropologen-Phantasie. Denn es gibt kein Indiz dafür, dass unsere Vorfahren jemals seriell monogam gelebt haben. Wahrscheinlicher war der Gruppenverband, die Tanten-und-Geschwister-Familie. Durchaus denkbar übrigens, dass wir tatsächlich genau dahin zurückkehren. Dieser Aspekt wird uns noch einmal im Kapitel über die Familie beschäftigen.
Die Anzahl der Beziehungen, die ein junger Mensch durchschnittlich zu erwarten hat, ist ungleich höher als in der Generation seiner Großeltern. Ob sie allerdings tatsächlich viel größer wird als in der Generation seiner Eltern ist keineswegs ausgemacht.
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