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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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Wäsche. Zur ehelichen Konstruktion von Alltag (1994).
    Die Lehre aus dem Wäschebeispiel reicht aber noch viel weiter. Nicht nur zeigt sie, dass Individualisierung in einer Paarbeziehung fast immer mit einer »Kollektivierung« einhergeht. Sie zeigt zugleich, dass beide Partner einen beträchtlichen Fundus an Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten mit in die Beziehung bringen. Diese gehen weit über die Frage des Zusammenknüllens oder Faltens hinaus.
    Doch woher kommen diese Festlegungen, wo der moderne Mensch der Theorie nach haltlos, unsicher und ungebunden ist? Woher nehmen wir die Sicherheit, mit der wir nicht nur unsere Gewohnheiten verteidigen, sondern annehmen, dass sie »richtig« sind? Die Flucht nach vorn in die Liebe soll doch angeblich von einer ungesicherten Warte her erfolgen. Aber eine Warte bleibt bei aller denkbaren Orientierungslosigkeit im Großen relativ
stabil: die Herkunft. Die Werte, die man als Kind im Elternhaus vermittelt bekommt, haben eine beeindruckende Beharrungskraft. Mag man sich in der Pubertät noch so vehement gegen den Wertekosmos der Eltern auflehnen, auf leisen Sohlen kommen diese Werte doch fast immer wieder zurück. Natürlich kauft man sich nicht die Schrankwand der Eltern, sondern ein Ikea-Regal, aber das eine ist nur die zeitgemäße Verpackung des anderen.
    Die enorme Stabilität der mit der Muttermilch eingesogenen Werte ist deshalb so hoch, weil man als Erwachsener eben kaum noch zu neuen Werten kommt. Einsichten lassen sich im Alter vermehren, Werte nicht. In Konfliktsituationen mit dem Partner kommen die alten Werte hervor. Nicht anders ist es bei der Kindererziehung: Warum sagen wir unseren Kindern ausgerechnet diesen blöden Spruch, den wir selbst bei unseren Eltern immer gehasst haben? Je älter wir werden, umso weniger lehnen wir uns zumeist gegen unsere konservative Seite auf; jene Seite, die sich auf das besinnt, was ihr urvertraut ist.
    Selbstverwirklichung besteht nicht nur aus einer gnadenlosen Individualisierung, sondern sie hat zugleich auch eine konservative Dimension. In der soziologischen Analyse unserer Gegenwart wird diese häufig stark unterschätzt. Der Alt-68er, der sich seine Heldentaten aus wildbewegter Jugend nicht nehmen lassen will, verhält sich nicht anders als sein reaktionärer Vater, der seine eigene Jugend trotzig verteidigt hat. Und der 40-jährige Ex-Yuppie der Generation Golf lässt sich trotz Kursverlusten und Finanzkrise einfach nicht davon abbringen, dass das Leben ein Spiel von Kosten und Nutzen sein soll. Je weniger wir noch dazulernen wollen, umso wichtiger wird uns die Rückbindung. Wie kann heute schlecht sein, was damals gut war?
    Auf die konservative Seite gehören das Vertraute und das Konventionelle. Es ist das Nicht-Selbstgewählte wie Herkunft und Milieu. Und es ist das Erstgewählte: das erste Selbstkonzept als junger Erwachsener. Sie sind das Sicherheitsnetz des modernen
Liebesartisten. Doch während die Beziehungsprobleme durch Individualisierung gut erforscht sind, liegen die Probleme durch Rückbindung häufig noch im Dunkeln und werden unterschätzt. Vermutlich aber sind sie die schlimmeren Spaltpilze als jede sogenannte Individualisierung. Denn neue Ideen lassen sich vom Partner relativieren; Rückbindungen dagegen nicht. Sie stehen als unleserlicher Begleittext mit auf unserer »Liebeskarte« und entscheiden zwar nicht über die Partnerwahl, wohl aber über langfristige Anforderungen und Zumutungen. Und je unkonventioneller wir uns in unserer Jugend fühlen mögen, umso stärker fällt später oft die Rückbindung aus.

Liebes-Suche
    Individualisierung und Rückbindung sind die Pole unseres modernen Selbstverständnisses, auch in der Liebe. In der Soziologie tobt seit zwanzig Jahren eine etwas alberne Schlacht um den Wert des einen oder des anderen. Die linken Soziologen im Gefolge von 1968 freuen sich über die Individualisierung; die konservativen dagegen feiern die Rückbindung. Was den einen die neue Freiheit der Leidenschaft und Lebensform ist, ist den anderen die Bedrohung von Ehe und Familie. Bei Licht betrachtet aber ist dieser Streit völlig bizarr. Denn weder ist die Individualisierung schuld an der heutigen Trennungsquote von Paaren, noch gibt die Rückbindung einer Beziehung notwendig Halt. Wer sich so individuell wie möglich den Zeitläuften seines Lebens anpasst, wird damit nicht bindungsunfähig. Und wer sich in Krisenzeiten auf seine Herkunft besinnt, rettet damit noch lange nicht seine Ehe.

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