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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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abzuschwächen oder auszugleichen. So gesehen sind sie nicht die schlechteste Lösung, selbst wenn sie den Betreffenden sichtlich mehr Spaß machen als ihren Betrachtern.
    Natürlich sind auch die Szenemamis und Szenepapis vom Prenzlauer Berg nur eingeschränkt repräsentativ für die heutige Mutter- und Vaterschaft. In Hohenschönhausen, zehn Kilometer weiter im Osten, sieht die Welt anders aus. Was man gleichwohl aus dem Beispiel cooler Jungeltern lernen kann, ist:
Familie und Individualität müssen sich nicht zwangsweise widersprechen. Auch die Individualisierung des Einzelnen ist ja von Zwängen umzingelt und kein Ort der grenzenlosen freien Selbstentfaltung. Und umgekehrt führt die Familie nicht nur zu neuen Zwängen, sie schafft auch alte ab. Manche Wahlmöglichkeiten, die zu Wahlzwängen werden, heben sich auf. Wer weniger Freizeit hat, steht nicht mehr vor dem Problem, zwischen zu vielen konkurrierenden Freizeitideen auswählen zu müssen. Die freiwillige Selbstbeschränkung durch Kinder hat also durchaus auch Vorteile. Mit der Familie – wie auch immer sie aussieht – wird eine Mischform von Zwang und Freiheit durch eine andere Mischform aus Zwang und Freiheit ersetzt. Die Freiheiten und Zwänge werden nun anders, aber nicht unbedingt minder attraktiv gemischt. Was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass bei allem Stress mit den Kleinen sich kaum jemand im Ernst wünscht, seine Kinder wären nicht mehr da.
    Der Effekt, der dieser positiven Einschätzung zugrunde liegt, wurde in den vergangenen Jahren intensiv untersucht. Natürlich lieben nahezu alle Eltern ihre Kinder und wollen sie nicht missen. Doch bereiten Kinder ihnen tatsächlich so viel Freude und Glück, wie Eltern gerne sagen? Daniel Kahneman, Nobelpreisträger für Ökonomie und Professor für Psychologie an der Princeton Universitiy, und sein Kollege Alan Krueger wollten es genauer wissen. Ihr Ziel war ein möglichst zuverlässiges Glücks-Messsystem. Ihr Verdacht war, dass sich Menschen bei Umfragen häufig selbst täuschen. Wer die große Frage nach dem Glück beantwortet, erstellt meistens eine Art Bilanz. Sein tatsächliches Wohlbefinden wird dabei aber häufig verzerrt und geschönigt. Kahneman und Krueger fragten deshalb nicht nur »Machen Ihre Kinder Sie glücklich?«, sondern sie forderten die Eltern auf, ihren Tag Stück für Stück zu rekonstruieren. Das Ergebnis war wenig schmeichelhaft für die Kleinen. Zumindest US-amerikanische Eltern fanden das durchschnittliche Zusammensein mit ihren Kindern in der Situation ungefähr so unangenehm wie
Einkaufen oder Putzen. Gleichwohl gaben sie vorher bilanzierend zu Protokoll, dass ihre Kinder von allen Glücksfaktoren der wichtigste sei. Das Vergessen, so scheint es, macht die Erinnerung an die Kinder schöner. Und Lebenssinn ist mehr als die Summe aller Glücksmomente.

Elefantenfamilien
    In deutschen Großstädten ist nur jede zweite Familie eine Kernfamilie. Und in französischen Großstädten sind es sogar gerade noch 30 Prozent. Die anderen Familien sind Familien mit allein erziehenden Müttern oder Vätern, Stieffamilien oder, stark vermehrt, zusammengesetzte Familien, so genannte »Patchworkfamilien«.
    Diese Form der Familie ist nicht neu. Schon das Alte Testament kennt die Patchworkfamilie, in einem besonderen Fall sogar als Verpflichtung. Hinterlässt ein früh verstorbener Mann eine Familie, so zwingt die Levirathsehe dessen Bruder, diese Familie als seine eigene zu übernehmen. Alle Religionen und Mythologien sind Heimstätten von Patchworkern. Ob bei Zeus oder Wotan, an zusammengesetzten Familien besteht kein Mangel. Und was den Göttern billig, war auch den früheren Kulturen recht. Grimms Märchen beschäftigen sich so eingehend mit dem Patchworkthema, dass man die Dringlichkeit und Brisanz des Themas durch die Jahrhunderte erkennt. Hänsel und Gretel, Aschenputtel oder Schneewittchen sind Opfer von Patchworkfamilien, in allen drei Fällen bedingt durch den frühen Tod der leiblichen Mutter.
    Die Gründe für die Vielzahl an Patchworkfamilien in heutiger Zeit haben sich gegenüber früher geändert. Die Struktur und die Probleme dagegen bleiben oft ähnlich. Juristisch gesehen ist die Kernfamilie noch immer das Maß aller Dinge. Doch die Akzeptanz
der Patchworkfamilie in der Gesellschaft ist in den letzten Jahrzehnten rasant gestiegen. Zumindest in den Großstädten ist sie eine völlig normale Lebensform geworden. Kinder aus Patchworkfamilien sind keine Außenseiter mehr,

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