Liebe
Aus der Technik von damals ist heute Psychotechnik geworden. Liebe, Romantik, Freiheit, Freiraum, Individualität und Familie spielen heute auf so vielfältige Weise ineinander und gegeneinander, dass weder Kniffe noch Tricks und Tipps die Probleme schnell lösen könnten.
Die Schwierigkeit liegt nicht einfach nur darin, dass die Anfangsromantik chemisch zum Alltagsgrau verblasst. Ein bisschen Grau hat noch keine Beziehung und noch keine Familie ruiniert. Ohne etwas Grau im Hintergrund verliert ja auch alles Bunte seinen Reiz, so dass Eva Illouz feststellt: »Entgegen den populären Klagen, dass die Ehe durch das Verblassen der emotionalen Intensität der >Anfangszeit< bedroht sei« liegt nahe, »dass der Alltag – in seiner Monotonie, Mühsal, Banalität – der symbolische Pol ist, von dem die Augenblicke romantischen Überschwangs ihre Bedeutung beziehen. Diese Augenblicke sind gerade deshalb signifikant, weil sie kurzlebig sind und sich nicht in den Alltag >hinüberretten< lassen. Der Eintritt in den >profanen< Bereich des Alltagslebens markiert keineswegs ein >Schwinden< der Liebe, mit ihm beginnt vielmehr ein rhythmischer Wechsel mit >heiligen< romantischen Interaktionsmodi. Die Stabilität
des Ehelebens hängt davon ab, ob man diesen Rhythmus halten kann!« 120
Problematischer als das zwischenzeitliche Verblassen hochfahrender Gefühle sind die Angst und die Befürchtungen, die sich sofort einstellen. Die Liebe, die uns vorschwebt, ist oft auf so hohem Niveau, dass sie permanent enttäuschungsanfällig ist. Die gleiche Bedrohung stellt sich leicht auch in der Familie ein, und zwar auf doppelte Weise. Einmal entspricht, wie bereits festgestellt, das reale Familienleben nicht immer dem romantischen Ideal. Spätestens wenn die Kinder in der Pubertät sind, ist die Familienromantik oft genug empfindlich gestört. Immerhin ist es das naturgegebene Programm pubertierender Kinder, im familiären Sinne unromantisch zu werden und sich aus der engen Bindung zu ihren Eltern zu befreien. Zum anderen mischt eine Familie schon mit einem einzigen Säugling die Karten einer Beziehung völlig neu. Noch bevor der Nachwuchs das erste Mal »Mama« oder »Papa« flüstert, kräht oder babbelt, ist in der Liebe gemeinhin nichts mehr, wie es vorher war. Vor kurzem noch ein Abenteurer, muss der geliebte Herzensverschmelzungsgatte sich nun anhören, dass er den Löffel mit dem Brei falsch hält. Auf diese Anforderung vorbereitet zu sein ist nicht leicht. Und wo vorher die Liebesbeziehung etwas »bringen« sollte im Hinblick auf sexuelle Lust, emotionale Stabilität und – spätestens seit Erich Fromm – auch für die »Selbsterkenntnis«, haben sich die Ziele und das Maß völlig geändert. Junge Familien sind keine erklärten Selbsterkenntnisgemeinschaften; der Erkenntnis heischende Blick fällt nun auf den Nachwuchs.
So gesehen ist die Familie zumeist ein empfundenes Tauschgeschäft. Man gewinnt hinzu, und man verliert. Denn kaum etwas ist noch so wie zuvor. Wer in der Phantasie Eltern spielt, denkt dabei selten an das, was er mittelfristig oder möglicherweise auch für immer verliert. Die Auswirkungen von Kleinkindern auf die Sexualität ihrer Eltern sind meist immens – die Sexquote sinkt rapide. In der Stillzeit setzt sie häufig ganz aus. Die
stärksten Oxytocin- und Vasopressinschübe gelten dem Kind, nicht dem Partner. Sollte meine Theorie von der geschlechtlichen Liebe als Spandrel der Eltern-Kind-Liebe richtig sein, so wäre dieser Prozess biologisch nur allzu plausibel: In der Liebe zu den Kindern kommt sie an ihren Ursprungsort zurück. Und die geschlechtliche Liebe wird als das auf die Spitze gestellte Dreieck sichtbar, das sie ist.
Auf der positiven Seite dieses Tauschs lockt das Versprechen nach einem neuen »Wir«, einem Selbstbestätigungsraum in unbekannter Dimension. Familien bilden kleine Gesellschaften in der Gesellschaft mit ganz eigenen Rollen, Wahrheitsspielen, Erwartungen und Erwartungserwartungen. Ideell gesehen weitet sich der Raum zur Selbsterfahrung des Paares gewaltig aus. Praktisch dagegen wird der Raum in fast jeder Hinsicht enger: Familie essen Zeit auf. Und die Rolle, die du in der Familie spielst, legt dich auf neue Weise fest: Aus sexuell als attraktiv wahrgenommenen Wesen werden Mamis und Papis. Die »Muttierung« nannte der Focus im Jahr 2005 dieses Phänomen bei Frauen; manchen Vätern ergeht es nicht viel besser. Wer diese Enttäuschung im Rausch von Hormonen und Glück nicht als
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