Liebe
Liebeserregung. Aber natürlich sind sie weit davon entfernt, einen so komplexen Zustand abzubilden wie das, was wir Liebe nennen. Liebe ist kein Hormoncocktail, und es gibt auch kein »Liebeshormon«. Aber welchen Status hat die Liebe denn? Wenn sie schon kein Schaltkreis im Gehirn ist – was ist diese ominöse Liebe, die mehr als Lust ist, Verliebtheit und Bindung? Ist sie, die uns emotional so stark einzufordern scheint, selbst überhaupt eine Emotion?
Emotionen und Gefühle
Der aggressive fordernde Wolf begegnet der gefühlvollen Giraffe, dem Landtier mit dem größten Herzen. »Liebst du mich?«, fragt der Wolf. »Nein, ich glaube nicht«, entgegnet die Giraffe zögerlich. »Was – du liebst mich nicht?«, entsetzt sich der Wolf. »Im Augenblick nicht«, haucht die Giraffe und seufzt, »aber vielleicht ändert sich das ja noch. Frag mich doch noch einmal in fünf Minuten!«
Diese kleine Geschichte stammt von Marshall Rosenberg. Berühmt wurde der klinische Psychologe als einflussreicher Begründer des Konzeptes der »Gewaltfreien Kommunikation«. Hundertfach hat er sie am Beispiel seiner Tiergeschichten erläutert. In unserem Kontext allerdings geht es um etwas anderes. Nämlich um die Unterscheidung zwischen Emotion und Gefühl.
Wäre Liebe eine Emotion, wie viele Menschen spontan annehmen würden, so wäre die Antwort der Giraffe weniger drollig, sondern ganz normal. Emotionen kommen und gehen, und mitunter wechseln sie in kurzen Abständen. Wer das Fußballspiel seiner Lieblingsmannschaft verfolgt, wird von seinen Emotionen hin- und hergerissen. Zwischen Trübsal und Euphorie vergehen
mitunter nur Sekunden. Auf der Achterbahn wechseln Schreck und Geschwindigkeitsrausch ebenso sekundenschnell hin und her. Und wer heißhungrig auf eine Pizza geschaut hat, ist zehn Minuten später vielleicht schon pappsatt.
Seinem lateinischen Ursprung nach kommt »Emotion« von ex motio. Es bedeutet, dass etwas aus einer Bewegung oder Erregung heraus passiert. Emotionen sind in unserer Entwicklungsgeschichte uralt. Wir teilen sie mit vielen Tieren. Löwen werden müde, Eidechsen ist es kalt, Karpfen haben Hunger, und Kröten gieren nach Sex. All dies sind Erregungen. Emotionen entstehen im Klein- und im Zwischenhirn. Ohne Emotionen wären wir orientierungslos. Wir würden erfrieren oder verhungern, wir hätten keine Lebensenergie und keine Interessen. Emotionen sind da, wir können sie nicht kontrollieren, allenfalls vermeiden wir, sie zu zeigen. Und auch das gelingt uns zumeist nur mit großer Mühe. Und was in unserem Zusammenhang das Wichtigste ist: Emotionen können nicht enttäuscht werden! Wer Hunger hat, leidet, wenn er nichts zu essen findet, und wer müde ist, ärgert sich, wenn er nirgendwo schlafen kann. Aber weder der Hunger noch die Müdigkeit werden dabei enttäuscht; sie werden nur nicht befriedigt. Bei der Liebe, so wissen wir, ist das etwas ganz anderes. Und der Grund dafür ist leicht benannt: Liebe ist keine Emotion, sondern etwas viel Komplizierteres: ein Gefühl!
Was ist ein Gefühl? Einer der besten Kenner der Materie ist der bedeutende portugiesische Hirnforscher Antonio Damasio von der University of Southern California in Los Angeles. Zur Definition von Gefühlen schreibt er: »Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Gefühl sich zusammensetzt aus einem geistigen Bewertungsprozess, der einfach oder komplex sein kann, und dispositionellen Reaktionen auf diesen Prozess.« 67 Zu Deutsch: Gefühle entstehen, wenn Emotionen Vorstellungen auslösen. Das allerdings macht sie so komplex, dass sie sich der Welt der Hirnforschung weitgehend entziehen. Lassen sich Emotionen noch durch den Ausstoß von Hormonen und Neurotransmittern
beschreiben, so kann man Gefühle allenfalls einkreisen. Hört ein Patient im Kernspintomografen eine schöne Melodie, so erhöht sich in bestimmten Gehirnregionen die Blutzufuhr. Diese lässt sich messen, und der Versuchsleiter sieht auf seinem Monitor ein entsprechendes Bild. Doch welche Gefühls qualität sich ganz genau mit der Melodie verbindet – das weiß nur der Patient selbst. Je komplexer Gefühle sind, umso weniger lassen sie sich mithilfe der Chemie erklären.
Gefühle sind also mehr als Emotionen, und sie sind nicht einfach ein »mentaler Zustand«. Eifersucht, Trauer oder Heimweh lassen sich im Kernspintomografen nicht sichtbar machen. Wenn Helen Fisher annimmt, dass sich die Liebe in Schaltkreise im Gehirn zerlegen lässt, ist sie im Irrtum. Was sich
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