Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
Vom Netzwerk:
geringfügigen Veränderung nur dieses einzigen Gens entstand: Die simple genetische Programmierung eines so komplexen und wichtigen Verhaltens wie des Paarungsverhaltens ist sehr unwahrscheinlich.« 65
    Der einfache Schluss von der Oxytocin-Ausschüttung beim Sex zum Oxytocin als Klebstoff unserer Langzeitbeziehungen
greift also entschieden zu kurz. Selbstverständlich hat Liebe etwas mit Oxytocin zu tun, das sollte niemand bestreiten. Es ist in etwa so wie mit Curry in einem indischen Essen. Ohne Curry verlöre das Gericht seinen typischen Geschmack. Aber allein mit dem Verweis auf die Zutat »Curry« sind Rezept und Geschmack eines indischen Gerichts doch nicht ganz zureichend erklärt.
    Woran liegt das? Der erste Grund ist, dass ein Gefühl der Verbundenheit noch keine Liebe macht. Jemanden sehr zu schätzen, heißt, ihm verbunden zu sein, aber nicht unbedingt, ihn zu lieben, schon gar nicht im pathetischen oder romantischen Sinn. Für Helen Fisher, die in ihrem System keine Liebe, sondern nur »Verbundenheit« kennt, reichen Oxytocin und Vasopressin völlig aus, um ein Paar zusammenzuschweißen. »Dieses emotionale System entwickelte sich, um Individuen zu motivieren, positive soziale Verhaltensweisen auszubilden und/oder ihre verwandtschaftlichen Beziehungen lange genug aufrechtzuerhalten, um artspezifische elterliche Pflichten zu erfüllen.« 66
    Wir brauchen nicht darüber nachzudenken, wer der geheimnisvolle Motivator sein könnte, der diesen Prozess steuern soll. Auch hier reicht es, wieder einmal darauf hinzuweisen, dass es für die »artspezifischen elterlichen Pflichten« beim Menschen weder der Liebe bedarf noch des Einbezugs des Mannes. Die Beweise dafür finden wir sowohl bei Menschenaffen wie in der Geschichte und der Gegenwart des Menschen. Die bürgerliche Familie ist nicht unsere evolutionäre Norm, sondern ein Modell unter vielen, und um ihre Zukunft steht es, wie wir später sehen werden, auch nicht sehr gut.
    Bindung und Liebe sind nicht das Gleiche, und das macht den Verfechtern des Fisher-Modells – ich nenne sie die Oxytocinisten – schwer zu schaffen. Den Unterschied sieht man auf den ersten Blick bei den Erwartungen von Liebenden. Für manchen Liebenden ist »Bindung« maximal ein Restgefühl, eine Schwundstufe. Und es ist auch durchaus nicht sicher, dass sie die einzige und eigentliche Pointe der geschlechtlichen Liebe ist.

    Der zweite Grund, warum unser Oxytocin-Ausstoß allein noch keine »Liebe« produziert, ist aber weit wichtiger. Wenn wir beim Sex, beim Streicheln, Umarmen oder beim Anblick eines heiß geliebten Menschen Oxytocin oder Vasopressin ausschütten, ist dies eine biochemische Erregung. So weit, so klar. Aber diese Erregung hat keine Worte, keinen Namen. Wir müssen sie deuten und interpretieren sie mit Worten. Wir sagen uns: »Ich habe mich verknallt!« oder noch treffender: »Ich glaube, ich bin verliebt«. Oder wir sagen: »Ich denke, dass ich sie durchaus liebe.« Oder: »Wenn er so lächelt, liebe ich ihn sehr.«
    Wenn wir unsere Erregung interpretieren, setzen wir uns zu uns selbst in ein Verhältnis. Wir deuten uns aus und finden einen Namen: Schwärmen, Verknallen, Verlieben, Liebe. Dabei geschehen Dinge, die die Oxytocinisten mit ihrer Gleichung »Hormonausschüttung = Gefühl« kaum erklären können. Zum Beispiel, wenn ich sage: »Ich hatte gedacht, sie zu lieben, aber jetzt weiß ich, dass es nicht stimmte«, haben sich dann Oxytocin und Vasopressin geirrt? Sie haben es nicht, denn sie können weder denken, noch schreiben sie uns unsere Gedanken vor. Sie suchen nicht unsere Partner aus, und sie entscheiden auch nicht selbständig darüber, ob und wie lange ich mit jemand anderem zusammenbleibe. Kurz gesagt: Sie sind eben nur das Curry und nicht das Gericht.
    Meine Oxytocin-Ausschüttung mag mich zu einem anderen Menschen hinziehen. Doch wenn mein Verstand sagt, dass diese Beziehung nicht halten kann, werde ich sie wohl beenden. Ich rede mir so lange ein oder zu, dass die Beziehung nichts geben kann, bis sich meine Hormone wieder beruhigen. Wir bleiben mit einem Menschen zusammen, obwohl unsere Orgasmen vielleicht nicht ganz so berauschend sind und unsere Hormon-Ausschüttung sich in Grenzen hält. Und wir entscheiden uns mitunter selbst dann gegen eine Beziehung, wenn sie unsere Hormone tanzen lässt. Von der Präriewühlmaus zum komplizierten Liebesverhalten des Menschen ist es ein langer Weg.

    Oxytocin und Vasopressin sind zwei wichtige Bausteine unserer

Weitere Kostenlose Bücher