Liebe
bei der Emotion »Lust« recht einfach erklären und beschreiben lässt, funktioniert beim Gefühl der Liebe nicht. Wäre Liebe ein »mentaler Zustand«, so wechselte sie unter Umständen tatsächlich im 5-Minuten-Takt hin und her wie bei der Giraffe in Rosenbergs Geschichte.
Emotionen verfliegen; Gefühle haben mehr Bodenhaftung. Sie sind durchgängiger und langlebiger. Und sie sind, wie gesagt, mit Vorstellungen verbunden. Ich muss mir kein Essen vorstellen, um Hunger zu haben, und kein Bett, um müde zu sein. Wenn ich trauere, denke ich an jemanden, um den ich trauere: Ich stelle ihn mir vor. Bei Eifersucht und Neid denke ich an den- oder diejenige, um die es geht oder den ich beneide. Auch die Liebe braucht ein Liebesobjekt. Wenn ich liebe, liebe ich jemanden. Ich projiziere etwas in ihn hinein. Meine Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen haben ein Gegenüber und ein Ziel.
Genau dies unterscheidet Gefühle wie die Liebe auch von Stimmungen. Anders als bei der Giraffe in Rosenbergs Geschichte ist die Liebe nicht allzu stimmungsabhängig. Stimmungen sind flüchtige Gebilde, halb Emotion und halb Gefühl. Mit den Emotionen teilen sie das Fehlen eines Gegenübers oder einer konkreten Vorstellung. Was sie hingegen mit den Gefühlen verbindet,
ist die mitunter recht lange Dauer. Ich kann tagelang beschwingt sein. Und manchmal überkommt mich für längere Zeit eine resignative Stimmung. In dieser Zeit erscheint mir das ganze Leben grau eingefärbt. Manchmal kenne ich die Auslöser meiner Stimmungen, aber durchaus nicht immer. Dann wundere ich mich über meine überraschend schlechte oder gute Laune.
Lassen wir die Stimmung als ein Zwitterwesen einmal außen vor, so können wir sagen: Bei der Emotion liegt der Schwerpunkt des Fühlens auf dem Körper (Kälte, Hunger, Müdigkeit, sexuelle Gier usw.). Beim Gefühl hingegen geht es in erster Linie um einen geistigen Inhalt. Natürlich gehen Gefühle auch mit starken körperlichen Erregungszuständen einher, aber die Vorstellungen, die dadurch ausgelöst werden, sind häufig sehr kompliziert. Emotionen lassen sich ziemlich einfach bewerten. Ich friere oder schwitze. Das Essen schmeckt mir oder nicht. Und die Frau, die ich beobachte, erregt mich oder nicht. Heimweh dagegen lässt sich nicht so einfach bewerten, Gelassenheit ebenso wenig. Es gibt kein einfaches, mitunter schnell wechselndes »Ja« oder »Nein« innerhalb des Gefühls.
In ihren Emotionen sind sich alle Menschen sehr ähnlich. In den Gefühlen unterscheiden sie sich schon stärker. Und in ihren Gedanken schließlich sind sie deutlich verschieden. Auf dem langen Weg vom Affekt bis zum klugen Gedanken liegt, so scheint es, eine enorme Freiheit. Die Gefühle emanzipieren sich vom schlichten Reiz der Emotion. Und die Gedanken wandern von den Gefühlen aus selbständig durch die Welt. So weit, so richtig. Doch erstaunlicherweise zeigen sich die meisten Menschen in ihren Gefühlen und ihren Gedanken sehr beständig. Wir verwenden wesentlich mehr Zeit darauf, immer das Gleiche zu fühlen und zu denken als etwas Neues. »Gefühle sind die wahren Einwohner der menschlichen Lebensläufe«, meinte der Regisseur Alexander Kluge einmal sehr richtig. Aber sie sind offensichtlich ziemlich konservative Gesellen. Denn das menschliche Lebewesen ändert sich zumeist nur sehr wenig.
Ein Grund dafür dürfte sein, dass wir nur selten über unsere Gefühle nachdenken. Warum wir sie haben, und warum wir bestimmte Dinge so empfinden, wie wir sie empfinden. In dieser Hinsicht behandelt der bürgerliche Mensch die Gefühle wie sein Geld: Über Gefühle redet man nicht; man hat sie. Der Trend in Fernsehtalkshows, nur noch die immer gleiche Frage zu stellen: »Wie haben Sie sich gefühlt, als... bestätigt diesen Befund. Würden wir selbstverständlich über unsere Gefühle reden, wären wir auf die Antworten nicht mehr neugierig. Stattdessen aber sind Gefühle der offensichtlich letzte unerschlossene Bereich, der uns bei Menschen interessiert. Mit ihren Gedanken haben wir weitgehend abgeschlossen; es gibt nicht viel Neues.
Gefühle sind der Klebstoff, der uns zusammenhält. Sie entscheiden darüber, was uns angeht und was uns nahegeht. Ohne Gefühle wäre alles egal. Auch der aufregendste Gedanke wäre nichts ohne die Aufregung, die ihn begleitet. Hätten wir keine Gefühle, so wäre das Leben nicht lebenswert. Eine Existenz wie der gefühlsarme Mr. Spock aus »Raumschiff Enterprise« erscheint niemandem im Ernst als
Weitere Kostenlose Bücher