Lieben: Roman (German Edition)
unmerklich, so unmerklich, dass es fast schien, als würde es nicht geschehen, ermattete etwas in unserem Leben. Die Glut, die uns beide zueinander und in die Welt hinaus trieb, war nicht mehr so stark. Manchmal kam es zu kleinen Verstimmungen, eines Samstags wachte ich auf und überlegte, wie schön es doch gewesen wäre, ein bisschen allein zu sein, in Antiquariate zu gehen, in einem Café zu sitzen und Zeitungen zu lesen … Wir standen auf, gingen ins nächstgelegene Café, bestellten Frühstück, will sagen Müsli, Joghurt, Toast, Ei, Saft und Kaffee, und ich las Zeitung, Linda starrte auf den Tisch hinunter oder in den Raum hinein, sagte schließlich, musst du jetzt unbedingt lesen, wollen wir uns nicht lieber unterhalten? Natürlich, sagte ich und schlug die Zeitung zu, woraufhin wir zusammensaßen und uns unterhielten, was ganz ausgezeichnet funktionierte, der winzige schwarze Fleck im Herzen war kaum spürbar, ein kleiner Wunsch, allein zu sein und in Ruhe zu lesen, ohne dass jemand etwas von mir forderte, glitt rasch vorüber. Dann aber kam der Punkt, an dem er nicht mehr vorüberglitt, an dem er im Gegenteil in die nachfolgenden Zustände und Handlungen hineinglitt. Wenn du mich wirklich liebst, musst du mir ohne Forderungen begegnen, dachte ich, sprach es jedoch nicht aus, denn ich wollte, dass sie es selbst erkannte.
Eines Abends rief Yngve an und wollte wissen, ob ich Lust hätte, mit ihm und Asbjørn nach London zu fahren, ich sagte, ja klar, das passt perfekt. Als ich auflegte, sah Linda mich vom anderen Ende des Zimmers aus an.
»Worum ging’s?«, sagte sie.
»Es war Yngve. Er möchte, dass ich mit ihm nach London fahre.«
»Du hast ja wohl nicht zugesagt?«
»Doch. Sollte ich das etwa nicht?«
»Aber wir zwei wollen doch zusammen verreisen. Du kannst doch nicht mit ihm reisen, bevor du mit mir verreist bist!«
»Was redest du denn da? Das hat doch nichts mit dir zu tun.«
Sie schaute in das Buch, das sie gerade las. Ihre Augen waren schwarz. Ich wollte nicht, dass sie wütend war. Die Situation so stehen zu lassen, erschien mir unmöglich, sie musste geklärt werden.
»Ich bin schon unglaublich lange nicht mehr mit Yngve zusammen gewesen. Du darfst nicht vergessen, dass ich hier außer deinen Freunden niemanden kenne. Meine Freunde wohnen alle in Norwegen.«
»Yngve war doch gerade erst hier.«
»Ach, nun komm schon.«
»Dann fahr eben«, sagte sie.
»Okay«, sagte ich.
Hinterher, als wir im Bett lagen, entschuldigte sie sich für ihre Kleinlichkeit. Das macht doch nichts, sagte ich. Halb so wild.
»Solange sind wir eben noch nie getrennt gewesen, seitdem wir ein Paar sind«, sagte sie.
»Stimmt«, sagte ich. »Aber dann wird es vielleicht auch mal Zeit.«
»Wie meinst du das?«, sagte sie.
»Wir werden ja wohl kaum für den Rest unseres Lebens so eng zusammen sein können«, antwortete ich.
»Also ich finde, uns geht es gut«, sagte sie.
»Gut, natürlich geht es uns gut«, erwiderte ich. »Du weißt schon, was ich meine.«
»Natürlich tue ich das«, sagte sie. »Aber ich bin mir nicht sicher, dass ich derselben Meinung bin.«
In London rief ich sie zwei Mal täglich an und gab fast mein ganzes Geld für ein Geschenk für sie aus, da sie ein paar Wochen später ihren dreißigsten Geburtstag feiern würde, aber gleichzeitig wurde mir bewusst, wahrscheinlich weil ich mein Leben in Stockholm zum ersten Mal mit etwas Abstand sah, dass ich mich nach meiner Rückkehr zusammenreißen, härter würde arbeiten müssen, denn es war nicht nur der komplette lange Sommer in Glück und innerem und äußerem Überfluss verschwunden, auch der September war verstrichen, ohne dass ich irgendetwas zustande gebracht hatte. Seit der Veröffentlichung meines ersten Buchs waren vier Jahre vergangen, und ein zweites Buch war nirgendwo in Sicht, wenn man einmal von den achthundert Seiten mit verschiedenen Romananfängen absah, die ich seither gesammelt hatte. Den Debütroman hatte ich nachts geschrieben, war um acht Uhr abends aufgestanden und hatte bis zum nächsten Morgen geschrieben, und die Freiheit, die darin lag, in dem Raum, den die Nacht öffnete, würde möglicherweise erforderlich sein, um in etwas Neues hineinzufinden. In den letzten Wochen in Bergen und den ersten in Stockholm war ich kurz davor gewesen, und zwar mit dieser Geschichte, die mich geweckt hatte, in der es um einen Vater ging, der mit seinen beiden Söhnen in einer Sommernacht zum Krabbenfischen hinausfährt, der eine
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