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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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auch.«
    »Ja. Ehrlich gesagt wird sie ihr immer ähnlicher. Was ich meine, ist, nachdem sie ihre Theaterlaufbahn beendet hat und aufs Land gezogen ist, kommt es einem vor, als hätte sie plötzlich ihr Leben von früher wieder aufgenommen. Sie pflanzt ihr eigenes Gemüse an, kocht alles selbst, hat vier Gefriertruhen voller Essen und Lebensmittel, die sie im Sonderangebot eingekauft hat. Und es ist ihr nicht mehr wichtig, wie sie aussieht, jedenfalls im Vergleich zu früher.«
    Sie sah mich an.
    »Habe ich dir eigentlich erzählt, dass Großmutter einmal ein rotes Nordlicht gesehen hat?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Sie sah es, als sie alleine unterwegs war. Der ganze Himmel war rot, das Licht wogte vor und zurück, es muss sehr schön
gewesen sein, aber auch fast ein bisschen wie am Tag des Jüngsten Gerichts. Als sie zurückkam und davon erzählen wollte, glaubte ihr keiner. Danach glaubte sie es selbst kaum noch, ein rotes Nordlicht, hat man so etwas schon gehört? Hast du?«
    »Nein.«
    »Aber dann, viele, viele Jahre später, war ich mit meiner Mutter am späten Abend im Humlegården. Und wir haben das Gleiche gesehen! Ab und zu kann man ja auch in Stockholm Nordlichter sehen, zwar eher selten, aber es kommt vor. An dem Abend war es rot! Als wir nach Hause kamen, rief Mutter sofort Großmutter an. Großmutter weinte! Später habe ich etwas darüber gelesen und herausgefunden, dass irgendein seltenes meteorologisches Phänomen der Grund dafür ist.«
    Ich beugte mich über den Tisch und küsste sie.
    »Möchtest du einen Kaffee?«
    Sie nickte, und ich ging hinein und holte uns zwei Kaffee. Als ich wieder hinauskam und die Tasse vor ihr absetzte, sah sie zu mir hoch.
    »Mir ist noch eine seltsame Geschichte eingefallen«, sagte sie. »Vielleicht ist sie auch gar nicht so seltsam. Aber damals kam sie mir so vor. Ich war auf irgendeiner Schäreninsel. Lief alleine durch den Wald. Über mir, und zwar nicht weit über mir, direkt über den Bäumen, glitt ein Luftschiff heran. Es war total magisch. Es tauchte aus dem Nichts auf und glitt über den Wald hinweg und verschwand. Ein Zeppelin!«
    »Zeppeline haben mich immer fasziniert«, sagte ich. »Schon als Kind. Sie waren irgendwie das Fantastischste, was ich mir vorstellen konnte. Eine Welt aus Zeppelinen! Irgendetwas bündelt sich für mich in ihnen. Aber weiß der Henker, was es ist. Was meinst du?«
    »Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann haben dich als Kind Taucher, Segelboote, Raumfahrt und Zeppeline fasziniert?
Du hast mir mal erzählt, dass du Taucher und Astronauten und Segelschiffe gezeichnet hast? Sonst nichts?«
    »Das kommt in etwa hin.«
    »Tja, was soll man dazu sagen? Eine unbändige Sehnsucht nach Ferne? Taucher, tiefer kann man nicht kommen. Astronauten, höher kann man nicht kommen. Segelboote reichen weit in die Tiefe der Geschichte hinab. Und Zeppeline sind die Welt, wie sie niemals wurde.«
    »Das stimmt sicher. Aber nicht als etwas Großes und Dominierendes, das passierte eher am Rande, verstehst du? Als Kind ist man ja ganz von der Welt erfüllt, darum geht es doch. Dagegen kann man sich unmöglich wehren. Und das ist auch gar nicht nötig, jedenfalls nicht immer.«
    »Und heute?«, sagte sie.
    »Was heute?«
    »Sehnst du dich heute in die Ferne?«
    »Spinnst du! Dieser Sommer dürfte der erste sein, seit ich sechzehn war, in dem ich mich nicht fortgesehnt habe.«
    Wir standen auf und gingen zu der Brücke hinunter, die nach Djurgården hinüberführte.
    »Wusstest du, dass man die ersten Luftschiffe nicht lenken konnte und dass sie, um das Problem zu lösen, Greifvögel, wahrscheinlich Falken, möglicherweise aber auch Adler, zu dressieren versuchten, mit langen Leinen im Schnabel zu fliegen?«
    »Nein«, sagte ich. »Ich weiß nur eins, dass ich dich liebe.«
     
    Auch in diesen neuen Tagen, die in ganz anderer Weise als vorher von Alltag erfüllt waren, existierte für mich ein intensives Gefühl von Freiheit. Wir standen früh auf, Linda fuhr mit dem Rad zur Hochschule, ich schrieb den ganzen Tag, wenn ich nicht zum Filmhaus fuhr und mit ihr zu Mittag aß, und wir trafen uns am frühen Abend und waren zusammen, bis
wir ins Bett gingen. An den Wochenenden gingen wir abends aus essen und betranken uns in den Nächten, in der Bar der Volksoper, unserem Stammlokal, oder im Guldapan, einem anderen Lieblingslokal, im Folkhemmet oder in der großen Bar am Odenplan.
    Alles war noch so, wie es gewesen war, gleichzeitig aber auch nicht, denn

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