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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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bei einem Traum, den man nach dem Aufwachen vergeblich zu rekapitulieren sucht.
    Linda begann ihr Studium, der Einführungskurs war hart, sie wurden in alle möglichen und unmöglichen Situationen hineingeworfen, und die Idee dahinter war vermutlich,
dass sie am besten unter Stress lernten, von selbst, nebenbei. Wenn sie morgens mit dem Fahrrad zur Hochschule fuhr, ging ich in meine Wohnung hinauf, um zu schreiben. Die Geschichte der Engel hatte ich in eine Geschichte über eine Frau münden lassen, die 1944 in einer Entbindungsstation lag. Sie hatte gerade ein Kind geboren, und ihre Gedanken trieben ziellos in ihrem Kopf umher, aber es funktionierte nicht, der Text war zu weit weg, der Abstand war zu groß, trotzdem machte ich weiter, kämpfte mich durch Seite um Seite, das machte nichts, das Wichtigste, nein, das Einzige in meinem Leben war Linda.
     
    Eines Sonntags aßen wir im Stadtteil Östermalm in einem Café zu Mittag, das Oscar hieß und in der Nähe des Platzes Karlaplan lag, wir saßen draußen, Linda mit einer Decke um die Beine, ich aß ein Club Sandwich, Linda einen Geflügelsalat, die Straße war sonntäglich still, die unterhalb gelegene Kirche hatte soeben zum Gottesdienst geläutet. Drei junge Frauen saßen am Tisch hinter uns, zwei Männer wiederum ein wenig hinter ihnen. Auf den Tischen, die der Straße am nächsten standen, hüpften einige kleine Spatzen. Sie schienen ganz zahm zu sein, machten ihre kleinen Hüpfer zu den stehen gebliebenen Tellern, nickten mit dem ganzen Kopf, wenn sie ihren Schnabel ins Essen steckten.
    Plötzlich fährt ein Schatten durch die Luft, ich blicke auf, es ist ein riesiger Vogel, er schießt auf uns zu, fliegt den Tisch mit den kleinen Vögeln an, packt einen von ihnen mit seinen Krallen und steigt wieder auf.
    Ich drehte mich zu Linda um. Sie starrte mit halb offenem Mund in den Himmel.
    »Hat sich gerade ein Greifvogel einen der Spatzen geschnappt, oder habe ich das nur geträumt?«, sagte ich.
    »So etwas habe ich ja noch nie gesehen«, sagte Linda.
»Mitten in der Stadt? Was war das für ein Vogel? Ein Adler? Ein Falke? Der arme kleine Vogel!«
    »Das muss ein Falke gewesen sein«, sagte ich und lachte. Der Anblick hatte mich aufgeheitert. Linda sah mich mit lächelnden Augen an.
    »Mein Großvater war glatzköpfig«, sagte ich. »Er hatte nur noch einen Kranz aus weißen Haaren. Als ich klein war, sagte er immer, der Habicht habe seine Haare geholt. Zeigte irgendwie, wie dieser die Krallen in seine Haare geschlagen hatte und mit ihnen abgehauen war. Als Beweis diente der übriggebliebene Haarkranz. Und eine Zeit lang glaubte ich ihm tatsächlich. Guckte in den Himmel und hielt Ausschau nach dem Vogel. Aber er zeigte sich nie.«
    »Bis heute!«, sagte Linda.
    »Es ist nicht gesagt, dass es derselbe war«, sagte ich.
    »Nein«, gab sie zu und lächelte. »Als ich fünf war, hatte ich einen kleinen Hamster in einem Käfig. Im Sommer waren wir in unserem Sommerhaus auf dem Land, da ließ ich ihn öfter mal raus, setzte den Käfig auf den Rasen und ließ ihn ein bisschen durchs Gras krabbeln. Eines Morgens, als ich auf der Terrasse stand und auf ihn hinuntersah, stieß plötzlich ein Greifvogel herab, und schwupp, stieg mein Hamster in die Lüfte.«
    »Ist das wahr?«
    »Ja.«
    »Wie furchtbar!«
    Ich lachte und schob den Teller von mir, zündete mir eine Zigarette an und lehnte mich zurück.
    »Ich weiß noch, dass Großvater ein Gewehr hatte. Manchmal schoss er Krähen. Eine von ihnen verletzte er nur, er schoss ihr ein Bein ab. Das Tier überlebte und lebt bis heute auf dem Hof. Jedenfalls behauptet Kjartan das. Eine einbeinige Krähe mit starrenden Augen.«
    »Fantastisch«, sagte Linda.
    »Eine Art Kapitän Ahab der Vögel«, sagte ich. »Und Großvater lief auf dem Hof herum wie der große weiße Wal.«
    Ich sah sie an.
    »Oh, es ist schade, dass du ihm nie begegnet bist. Er hätte dir gefallen.«
    »Meiner hätte dir auch gefallen.«
    »Du warst da, als er starb, oder?«
    Sie nickte.
    »Er bekam einen Schlaganfall, und ich bin nach Nordschweden gereist. Aber als ich ankam, war er schon tot.«
    Sie griff nach meiner Zigarettenschachtel und sah mich an, ich nickte, sie nahm sich eine.
    »Aber wirklich nahe stand mir meine Großmutter«, erklärte sie. »Sie kam regelmäßig zu uns nach Stockholm und nahm alles in die Hand. Als Erstes putzte sie das ganze Haus. Sie backte und kochte und war mit uns zusammen. Sie war sehr stark.«
    »Das ist deine Mutter

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