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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Überraschungsreise; als ich nach Weihnachten zurückkam, fuhren wir zum Flughafen, aber sie erfuhr das Reiseziel erst, als ich ihr dort das Flugticket nach Paris überreichte. Eine Woche würden wir dort verbringen. Aber Linda bekam Angst, die Großstadt setzte sie zu sehr unter Druck, sie wurde wegen jeder Kleinigkeit wütend und stellte sich ständig stur. Als wir am ersten Abend im Restaurant saßen und der Kellner mich verlegen machte, weil ich nicht recht wusste, wie man sich in vornehmeren Lokalen zu benehmen hatte, betrachtete sie mich mit einem Blick, der voller Verachtung war. Oh, die Sache war hoffnungslos. Wo war ich da nur hineingeraten? Was geschah mit meinem Leben? Ich wollte in Geschäfte gehen und einkaufen, begriff jedoch, dass dies nicht gehen würde, sie hatte das früher schon nicht gemocht und hasste es heute, und solange das Alleinsein das Schlimmste für sie war, ließ ich den Gedanken fallen. Manche Tage begannen gut, zum Beispiel, als wir
zum Eiffelturm gingen, dem Bauwerk, dessen Ausstrahlung das 19. Jahrhundert heraufbeschwor wie kein anderes, das ich jemals gesehen hatte, um danach in etwas Schwarzes und Widerstrebendes zu fallen, oder sie begannen schlecht und endeten gut, zum Beispiel als wir eine Freundin Lindas besuchten, die in Paris lebte, direkt neben dem Friedhof, auf dem Marcel Proust beerdigt lag, wohin wir hinterher gingen. Und an Silvester, als wir durch einen Tipp von Johs, meinem frankophilen Freund in Bergen, in einem intimen und schönen Restaurant landeten und in jeder erdenklichen Weise verwöhnt wurden, so dass wir dort saßen und wie in alten Zeiten glühten, will sagen, wie ein halbes Jahr zuvor, bis wir nach einer Stunde im neuen Jahr auf dem Weg zu unserem Hotel Hand in Hand an der Seine entlang spazierten. Und was immer sie in Paris so bedrückt haben mochte, als wir zum Flughafen kamen, um heimzureisen, verschwand es sofort.
     
    Die Besitzerin der Wohnung, in die ich mich eingemietet hatte, wollte diese verkaufen, so dass ich meine Sachen, also alle Bücher, an einem der ersten Januartage in eine Lagerhalle außerhalb der Stadt brachte, putzte und die Schlüssel übergab, während Linda sich bei ihren Freunden erkundigte, ob jemand irgendwo ein Büro für mich wisse, und tatsächlich, Cora wusste von einer Art Bürogemeinschaft von Freiberuflern. Sie saßen ganz oben in dem schlossähnlichen Gebäude, das auf dem höchsten Punkt des kleinen Bergs auf der einen Seite von Slussen thronte, nur hundert Meter von meiner früheren Wohnung entfernt, dort bekam ich ein Büro, in dem ich tagsüber arbeitete. Es war ein Neuanfang, ich fügte die letzten hundert Seiten in die bereits umfangreiche Datei mit Anfängen ein und begann von Neuem. Diesmal nahm ich mich des kleinen Engel-Themas an. Ich kaufte einen dieser billigen Themen-Kunstbildbände voller Engelbilder, und eins von
ihnen weckte mein Interesse, es zeigte drei Engel, die, im Stil des sechzehnten Jahrhunderts gekleidet, in einer italienischen Landschaft wandelten. Ich schrieb über jemanden, der sie dort gehen sah, einen Jungen, der ein paar Schafe hütete, eines war verschwunden, und auf der Suche nach ihm sah er zwischen einigen Bäumen die Engel. Es war ein seltener Anblick, aber doch nicht so ungewöhnlich, denn die Engel hielten sich in den Wäldern und am Rande der menschlichen Einflusssphäre auf und hatten dies seit Menschengedenken getan. Weiter kam ich nicht. Was war die Geschichte?
    Das hatte nichts mit mir zu tun, darin lag nichts von meinem Leben, bewusst oder unbewusst, was bedeutete, dass ich mich nicht damit in Beziehung setzen und es nicht vorantreiben konnte. Ich hätte ebenso gut über eine Comicfigur wie das Phantom und die Totenschädelhöhle schreiben können.
    Wo lag die Geschichte?
    Ein sinnloser Arbeitstag folgte auf den nächsten. Aber mir blieb keine andere Wahl als weiterzumachen. Die Leute, mit denen ich zusammensaß, waren eigentlich in Ordnung, aber so voller linksradikaler Güte, dass mir die Spucke wegblieb, als ich zum Beispiel in einem Gespräch mit einem von ihnen, während wir darauf warteten, dass der Kaffee durchgelaufen war, das Wort »Neger« benutzte und unverzüglich korrigiert wurde, nur um plötzlich zu entdecken, dass der Mann, der Büros, Küche, Toilette für sie putzte, ein Farbiger war. Solidarisch und gleichberechtigt und gut waren sie in ihrer Sprache, die irgendwie ein Netz über die Wirklichkeit spannte, die unter ihnen weiter ihren ungerechten und

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