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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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wir gingen auf die Mole hinaus, und Arvid glitt mit dem Boot heran. Wir fuhren nach Hisøya hinüber, wo Arvid wohnte. Kleine, weiße Häuser auf kleinen, im Nachmittagslicht fast rötlichen Felskuppen, umgeben von grünen Bäumen, inmitten eines Gewölbes aus dem Blau des Himmels und des Meeres, waren das, woran wir vorbeifuhren, und ich dachte, Scheiße, es ist wirklich schön hier. Und dann der Wind, der jeden Nachmittag mit dem Sonnenuntergang kam. Er zog die Landschaft zum Fremden, das sah ich nun und hatte ich gesehen, als ich hier aufgewachsen war. Fremd, weil das, was alle Elemente der Landschaft zu einer Einheit zusammenführte, auseinanderplatzte wie ein von einem Hammerschlag getroffener Stein, sobald der Wind heranströmte.
    Wir gingen an Land, zum Haus, und setzten uns an einen Tisch im Garten. Linda war auf eine Art in sich gekehrt, die feindselig wirkte, und darunter litt ich, denn wir saßen mit seiner Familie und seinen Freunden zusammen, die ihr zum ersten Mal begegneten, und dann war sie so sperrig. Ich griff nach ihrem Arm unter dem Tisch und drückte ihn, sie sah mich an, ohne zu lächeln. Ich hätte am liebsten geschrien, dass
sie sich zusammenreißen solle. Ich wusste, wie charmant sie sein konnte, wie gut sie es eigentlich beherrschte, mit anderen Menschen an einem Tisch zusammenzusitzen und sich zu unterhalten, zu erzählen und zu lachen. Andererseits, schoss es mir durch den Kopf, wie verhielt ich mich denn eigentlich, wenn ich mit einigen von Lindas Freunden zusammen war, die ich nicht so gut kannte? Schweigsam und steif und scheu, ein Mensch, der während eines ganzen Essens dasitzen konnte, ohne mehr als das absolut Notwendige zu sagen.
    Woran dachte sie?
    Was warf sie aus der Bahn?
    Arvid? Die leicht angeberische Art, die er manchmal an sich hatte?
    Anna?
    Atle?
    Oder war ich es?
    Hatte ich im Laufe des Nachmittags etwas gesagt?
    Oder war es etwas in ihrem Inneren? Etwas, das mit dem Hier und Jetzt überhaupt nichts zu tun hatte?
    Nach dem Essen machten wir eine Bootsfahrt rund um Hisøya und nach Mærdø hinaus, und als wir auf die offene See hinausgelangten, gab Arvid Gas. Das schnelle, schlanke Boot glitt über das Wasser, der Bug hob sich, die Wellen schlugen und hämmerten gegen den Rumpf. Linda war leichenblass, genau drei Monate war sie jetzt schwanger, diese heftigen Bewegungen könnten dazu führen, dass sie das Kind verlieren würde, dachte sie, das sah ich ihr an.
    »Bitte ihn, langsamer zu fahren!«, zischte sie. »Das ist gefährlich für mich!«
    Ich betrachtete Arvid, der am Lenkrad saß und lächelte, die Augen im Fahrtwind der salzig riechenden und frischen Luft zu Schlitzen verengt. Ich glaubte nicht, dass es so schlimm war, und konnte mich nicht dazu überwinden, einzugreifen
und Arvid zu bitten, vom Gas zu gehen, es erschien mir einfach zu dumm. Gleichzeitig saß dort Linda und glühte vor Angst und Wut. Konnte ich ihr zuliebe nicht eingreifen, obwohl ich mich dabei lächerlich machen würde?
    »Da passiert schon nichts«, sagte ich zu Linda. »Das ist nicht weiter schlimm.«
    »Karl Ove!«, zischte sie. »Bitte ihn, vom Gas zu gehen. Das ist lebensgefährlich, begreifst du das nicht?«
    Ich richtete mich auf und rückte näher zu Arvid heran. Mærdø kam rasend schnell näher. Er sah mich an und lächelte.
    »Es fährt gut, was?«
    Ich nickte und erwiderte sein Lächeln. War kurz davor, ihn zu bitten, vom Gas zu gehen, schluckte die Worte dann aber doch wieder hinunter und setzte mich erneut neben Linda.
    »Das ist nicht schlimm«, sagte ich.
    Sie sagte nichts, saß da und hielt sich verbissen und bleich fest.
    Wir liefen ein wenig auf Mærdø herum, legten eine Decke auf die Erde, tranken Kaffee und aßen ein paar Kekse und kehrten schließlich zum Boot zurück. Auf dem Anlegesteg trat ich neben Arvid.
    »Linda hat ein bisschen Angst bekommen, als du so schnell gefahren bist. Du weißt ja, sie ist schwanger, und die Bewegungen… na ja, du verstehst schon. Könntest du es auf der Rückfahrt ein bisschen ruhiger angehen lassen?«
    »Na klar«, sagte er.
    Die ganze Strecke nach Hove hinüber fuhr er daraufhin, als würde er ein Schleppnetz ziehen. Ich überlegte, ob das eine Demonstration sein sollte oder ob er sich bloß besonders rücksichtsvoll geben wollte. Peinlich war es so oder so. Sowohl, dass ich Bescheid gesagt hatte, als auch, dass ich es nicht über mich gebracht hatte, auf dem Hinweg einzugreifen. Müsste es nicht die leichteste Sache der Welt sein,

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