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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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doch nichts. Das macht nichts. Liebster Karl Ove. Weine doch nicht. Jetzt weine nicht.«
    Nein, das wollte ich ja auch gar nicht. Es war das Letzte, was ich wollte, dass sie mich weinen sah.
    Aber ich konnte nichts dagegen tun.
    Sie versuchte, die Arme um mich zu legen, ich schob sie
fort. Versuchte, Luft zu holen. Ein bebender und erbärmlicher Schluchzer kam dabei heraus.
    »Entschuldige«, sagte ich. »Entschuldige. Das wollte ich nicht.«
    »Es tut mir leid«, sagte sie.
    »Ja, jetzt stehen wir wieder hier«, sagte ich und lächelte unter Tränen.
    Auch ihre Augen waren voller Tränen, und auch sie lächelte.
    »Ja«, sagte sie.
    »Ja«, sagte ich.
    Ich ging ins Bad, ein neuer Schluchzer schüttelte mich, ein neues Beben, als ich tief Luft holte, aber dann, als ich mir das Gesicht ein paar Mal mit kaltem Wasser gewaschen hatte, ging es vorbei.
    Als ich herauskam, stand Linda immer noch im Flur.
    »Geht es dir besser?«, sagte sie.
    »Ja«, sagte ich. »Das war nun wirklich idiotisch. Es muss an der Trinkerei gestern gelegen habe, plötzlich kam ich nicht mehr dagegen an. Es kam mir auf einmal alles so hoffnungslos vor.«
    »Es macht doch nichts, dass du geweint hast«, sagte sie.
    »Dir macht es nichts aus, nein. Aber mir gefällt es nicht. Ich wünschte, du hättest das nicht gesehen. Aber das hast du. Jetzt weißt du Bescheid. So bin ich.«
    »Ja, so schön bist du.«
    »Ach, nun komm schon«, sagte ich. »Hör auf damit. Wir haken das ab. Was meinst du, ist die Wohnung schön geworden?«
    Sie lächelte.
    »Fantastisch.«
    »Gut.«
    Wir umarmten uns.
    »Aber du«, sagte ich. »Willst du nicht nachsehen gehen?«
    »Jetzt?«
    »Ja?«
    »Okay. Umarme mich nur noch ein bisschen.«
    Das tat ich.
    »Und, jetzt?«, sagte ich.
    Sie lachte.
    »Okay.«
    Daraufhin ging sie ins Bad und kam mit dem weißen Stäbchen in der Hand wieder heraus.
    »Es dauert ein paar Minuten«, sagte sie.
    »Und, was glaubst du?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Sie ging in die Küche, ich folgte ihr. Sie starrte den weißen Stab an.
    »Tut sich was?«
    »Nein. Nichts. Ach, vielleicht ist es ja auch nichts, aber ich war mir so sicher, dass da etwas ist.«
    »Ja, aber es stimmt doch auch. Dir ist schlecht geworden. Du bist müde gewesen. Wie viele Anzeichen brauchst du denn noch?«
    »Eins.«
    »Dann schau doch. Es ist blau, oder?«
    Sie sagte nichts.
    Dann blickte sie zu mir hoch. Ihre Augen waren dunkel und ernst wie bei einem Tier.
    »Stimmt«, sagte sie.
     
    Es gelang uns nicht, die obligatorischen drei Monate abzuwarten, bis wir es erzählten. Schon drei Wochen später rief Linda ihre Mutter an, die am anderen Ende der Leitung Freudentränen vergoss. Meine Mutter reagierte reservierter, sie meinte, das sei schön und nett, aber nach einer Weile stellte sich heraus, dass sie sich fragte, ob wir dafür schon bereit waren. Lindas
Studium, mein Schreiben. Das wird sich zeigen, sagte ich, im Januar werden wir es herausfinden. Ich wusste, dass meine Mutter für Veränderungen immer etwas Zeit benötigte, sie musste über die Dinge erst in Ruhe nachdenken, dann bewegte sie sich und nahm das Neue an. Yngve, den ich anrief, sobald Mutter aufgelegt hatte, meinte, oh, das ist ja mal eine gute Neuigkeit. Ja, sagte ich, rauchend auf dem Hinterhof stehend. Und wann ist es so weit?, sagte Yngve. Im Januar, antwortete ich. Gratuliere, sagte er. Danke, sagte ich. Aber weißt du was, sagte er, ich stehe hier gerade mit Ylva bei einem Fußballspiel und bin eigentlich beschäftigt, können wir nicht später reden? Doch, doch, sagte ich, und wir beendeten das Gespräch.
    Ich zündete mir eine neue Zigarette an und merkte, dass ihre Reaktionen mich nicht recht befriedigten. Zum Teufel, immerhin würde ich ein KIND bekommen! Das war doch ein WAHNSINNS-Ereignis!
    Aber nachdem ich nach Schweden gezogen war, hatte sich etwas verändert. Wir hatten noch genauso viel Kontakt wie früher, das war es nicht, aber es war trotzdem anders, und ich überlegte, ob es an mir oder an ihnen lag. Ich stand ihnen ferner, und mein Leben, vom einen Augenblick auf den anderen so fundamental verändert, mit ausschließlich neuen Orten und neuen Menschen und neuen Gefühlen, konnte ich ihnen nicht mehr mit der gleichen Selbstverständlichkeit vermitteln wie früher, als wir im Gleichen gelebt hatten, in der Kontinuität, die in Tybakken begann und erst in Tveit und dann in Bergen weiterging.
    Nein, ich messe der Sache eine zu große Bedeutung bei, dachte ich. Yngve hatte ähnlich reagiert

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