Lieben: Roman (German Edition)
abgeschiedensten stand, und gingen bestellen. Am hintersten Fenstertisch saß Cora. Als sie uns sah, stand sie auf und lächelte.
»Hallo!«, sagte sie. »Schön, euch zu sehen!«
Sie umarmte erst mich, dann Linda.
»Und?«, sagte sie. »Wie geht es euch?«
»Gut«, antwortete Linda. »Und dir?«
»Gut! Wie ihr seht, bin ich mit meiner Mutter hier.«
Ich nickte ihrer Mutter zu, der ich einmal auf einer Party bei Cora begegnet war. Sie nickte ebenfalls.
»Seid ihr allein?«, sagte Cora.
»Nein, Vanja liegt da hinten«, antwortete Linda.
»Aha. Bleibt ihr ein bisschen?«
»Ich denke schon…«, sagte Linda.
»Dann komme ich später mal zu euch«, sagte Cora. »Ich will doch wenigstens einen Blick auf eure Tochter werfen. Ist das okay?«
»Klar«, sagte Linda und ging weiter zu der Theke am Ende des Raums, wo wir uns in die Schlange der Wartenden einreihten.
Cora gehörte zu den Freundinnen Lindas, denen ich zuallererst begegnet war. Sie liebte Norwegen und alles Norwegische, hatte dort ein Jahr gelebt und fing manchmal an, Norwegisch zu sprechen, wenn sie betrunken war. Als einzige Schwedin, der ich begegnet war, verstand sie, dass die beiden
Länder sehr unterschiedlich waren, und tat dies auf die einzig mögliche Art, es zu verstehen, mit dem Körper. Dass die Leute in Norwegen sich auf der Straße, in Geschäften und öffentlichen Verkehrsmitteln immer anstießen. Dass die Leute in Norwegen in kleinen Läden, Warteschlangen und Taxis immer plauderten. Erstaunt hatte sie die Augen aufgerissen, als sie die norwegischen Zeitungen gelesen hatte und sah, wie in ihnen diskutiert wurde. Die beschimpfen sich ja gegenseitig!, sagte sie begeistert. Die ziehen ja alle Register! Die fürchten sich vor rein gar nichts! Sie haben nicht nur eine Meinung zu allem zwischen Himmel und Erde und den Mut, Dinge zu sagen, die ein Schwede niemals aussprechen würde, sie hauen dabei auch noch richtig auf die Pauke. Oh, das ist so befreiend! Weil sie so dachte, fand ich schneller Kontakt zu ihr als zu Lindas übrigen Freunden, die im persönlichen Kontakt wesentlich formeller und geschliffener waren, ganz zu schweigen von den Leuten aus der Bürogemeinschaft, in der sie mir einen Platz verschafft hatte. Sie waren freundlich und nett und luden mich häufig ein, mit ihnen Mittagessen zu gehen, was ich ebenso häufig dankend ablehnte, wenn man von zwei, drei Malen absah, als ich schweigend in ihrer Runde saß und ihren Gesprächen lauschte. Bei einer dieser Gelegenheiten diskutierten sie die bevorstehende Invasion des Irak und den naheliegenden und ewigen Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Aber was hieß hier diskutieren, es kam mir eher vor, als plauderten sie über das Essen oder das Wetter. Am nächsten Tag traf ich Cora, die mir berichten konnte, dass ihre Freundin wutentbrannt ihren Platz in der Bürogemeinschaft gekündigt hatte. Offenbar habe es einen heftigen Schlagabtausch über die Beziehung zwischen Israel und Palästina gegeben, und sie sei außer sich vor Wut gewesen und habe umgehend ihren Arbeitsplatz gekündigt. Tatsächlich, am nächsten Tag war ihr Platz leer. Aber ich war doch dabei gewesen! Und
hatte nicht das Geringste gemerkt! Keine Aggression, keine Gereiztheit, nichts. Nur ihre freundlichen, Konversation machenden Stimmen, und die Ellbogen, die wie Hähnchenflügel abstanden, wenn sie ihre Messer und Gabeln handhabten. Das war Schweden, so waren die Schweden.
Aber Cora regte sich an jenem Tag auch auf. Ich erzählte ihr nämlich, dass Geir zwei Wochen zuvor in den Irak gereist war, um ein Buch über den Krieg dort zu schreiben. Sie sagte, er sei ein egoistischer, egozentrischer Idiot. Ein politisch interessierter Mensch war sie eigentlich nicht, so dass mich ihre heftige Reaktion überraschte. Als sie über ihn schimpfte, hatte sie Tränen in den Augen. Besaß sie ein solches Einfühlungsvermögen?
Ihr Vater war in den sechziger Jahren in den Krieg im Kongo gereist, erläuterte sie dann. Er hatte dort als Kriegsberichterstatter gearbeitet. Das hatte ihn kaputtgemacht. Er war nicht verletzt worden oder Ähnliches, die Erlebnisse hatten ihn auch nicht so erschüttert, dass seine Psyche Schaden genommen hatte, es war vielmehr umgekehrt gewesen, er wollte wieder zurück, er wollte mehr von dem Leben haben, dass er dort geführt hatte, in der Nähe des Todes, ein Bedürfnis, das in Schweden durch nichts gestillt werden konnte. Sie erzählte die seltsame Geschichte, dass er später in einem Zirkus
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