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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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mitten im Wald endete.
    Als wir uns dem Haus näherten, stand Ingrid bereits wartend davor. Als der Wagen hielt, eilte sie heran und öffnete an Vanjas Seite die hintere Tür.
    »Oh, mein Herzchen!«, sagte sie und legte die Hand auf ihre Brust. »Was habe ich mich darauf gefreut, dich zu sehen!«
    »Nimm sie ruhig, wenn du willst«, sagte Linda und öffnete die Tür auf der anderen Seite. Während Ingrid Vanja heraushob und sie mal von sich weghielt, um sie anzuschauen, mal an sich drückte, holte ich den Wagen heraus, klappte ihn auseinander und schob ihn zur Haustür.
    »Ich hoffe, ihr habt Hunger«, sagte Ingrid. »Das Essen ist nämlich fertig.«
    Es war ein kleines und altes Haus. Zu allen Seiten des Grundstücks stand Wald, außer an der Vorderseite, vor der eine offene Wiese lag, über die in der Abenddämmerung und im Morgengrauen häufig Rehe aus dem Wald auf der anderen Seite liefen. Ursprünglich war es eine Häuslerkate gewesen und hatte sich deren Charakter bewahrt: Obwohl man die beiden Zimmer, aus denen das Haus einst bestand, durch einen kleinen Anbau mit Küche und Bad ergänzt hatte, war die Wohnfläche nicht sonderlich groß. Das Wohnzimmer war dunkel und mit allen möglichen Dingen vollgestopft, und im Schlafzimmer dahinter war kaum Platz für anderes als die beiden eingebauten Pritschen und einige Regalbretter mit Büchern an der Stirnwand. Hinzu kamen ein Erdkeller, der ein Stück die Böschung hinter dem Haus hinauf lag, eine neuerbaute Hütte mit zwei Betten und einem Fernsehapparat und ganz oben ein kombinierter Werkzeug- und Holzschuppen. Wenn wir sie besuchten, zogen Vidar und Ingrid in die Hütte, damit wir das Haus abends für uns hatten. Nur wenige Dinge mochte ich lieber, als dort zu sein, auf der Pritsche neben den alten, groben Holzbänken zu liegen und umgeben von Stille und Dunkelheit den Sternenhimmel durch das Fenster darüber
zu sehen. Als wir das letzte Mal dort gewesen waren, hatte ich Calvinos Der Baron auf den Bäumen gelesen, das Mal davor Wijkmarks Die Draisine , und wie fantastisch diese Leseerlebnisse gewesen waren, lag wahrscheinlich ebenso sehr an der Umgebung, in der sie gelesen wurden, und der Stimmung, mit der mich diese erfüllte, wie an dem, was tatsächlich in den Büchern stand. Oder war es womöglich eher so, dass der Raum, den diese Bücher schufen, einen besonderen Widerhall in dem Ort fand, an dem ich mich aufhielt? Denn vor Wijkmark hatte ich einen Roman von Bernhard gelesen, und nichts in diesem hatte mich auch nur ansatzweise so erfüllt. Kein Raum war offen bei Bernhard, alles war eingeschlossen in die kleine Kammer der Reflexion, und obwohl er der Verfasser eines der furchteinflößendsten und erschütterndsten Romane war, die ich jemals gelesen hatte, Auslöschung , wollte ich nicht diesen Weg sehen, wollte ich nicht diesen Weg gehen. Nein, verdammt, so weit fort vom Geschlossenen und Erzwungenen wie nur möglich wollte ich sein. Komm! Ins Offene, Freund! , wie Hölderlin an einer Stelle schrieb. Aber wie, wie?
    Ich setzte mich auf den Stuhl am Fenster. Ein Topf mit Rindfleischsuppe dampfte mitten auf dem Tisch, daneben standen ein Korb mit frischen, selbst gebackenen Brötchen sowie eine Flasche Mineralwasser und drei Dosen Leichtbier. Linda platzierte Vanja in dem Kinderstuhl am Tischende und schnitt ein Brötchen auf und gab es ihr, ehe sie in die Küche ging, um in der Mikrowelle ein Gläschen zu erwärmen. Ihre Mutter übernahm dies, und Linda setzte sich neben mich. Vidar saß auf der anderen Seite des Tischs und rieb seinen Bart am Kinn zwischen Zeigefinger und Daumen, während er uns mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen ansah.
    »Bedient euch«, rief Ingrid aus der Küche. »Fangt ruhig an!«
    Linda strich mir über den Arm. Vidar nickte ihr zu. Sie begann,
Suppe in die Teller zu schöpfen. Blassgrüne Lauchringe, orange Möhrenscheiben, gelblich weiße Kohlrabistücke und große, graue Fleischstücke, an manchen Stellen mit rötlichen Fasern, andernorts bläulich auf glänzenden Flächen. Die flachen, weißen Knochen, an denen es hing, manche glatt wie geschliffene Steine, andere grob und porös. Alles schwamm in der heißen Brühe mit ihrem Fett, das erstarren würde, sobald die Hitze es verließe, nun jedoch als kleine, fast durchsichtige Perlen und Blasen in der trüben Flüssigkeit trieb.
    »Es schmeckt wie immer ausgezeichnet«, sagte ich und sah Ingrid an, die sich neben Vanja gesetzt hatte und auf deren Essen pustete.
    »Das ist

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