Lieben: Roman (German Edition)
immer noch von euch«, sagte ich und sah Ingrid an. »Vor allem von deinen Kochkünsten!«
»In Norwegen ist alles so anders«, sagte Linda. »Es ist
wirklich ein völlig anderes Land. Vor allem am Nationalfeiertag. Die Leute trugen Trachten und Orden.«
Sie lachte.
»Anfangs dachte ich, das wäre ironisch gemeint, aber nein, das war es nicht. Es war ihr voller Ernst. Aber die Orden wurden mit Würde getragen. Das hätte ein Schwede niemals getan, so viel ist sicher.«
»Sie waren wohl stolz, nicht?«, sagte ich.
»Ja, genau«, sagte Linda. »Aber ein Schwede würde das niemals zugeben, nicht einmal sich selbst gegenüber.«
Ich hielt den Teller schief, um den letzten Rest Suppe auszulöffeln und schaute gleichzeitig aus dem Fenster, die längliche, schneebedeckte Ackerfläche unter dem grauen Himmel, die Reihe schwarzer Laubbäume am Waldsaum dahinter, an manchen Stellen durchbrochen von der grünen Fülle der Nadelbäume. Der dunkle, von trockenen Zweigen bedeckte Waldboden, aus dem sie wuchsen.
»Henrik Ibsen war besessen von Auszeichnungen«, sagte ich. »Den Orden gab es nicht, für den er nicht bereit gewesen wäre, sich tief zu demütigen. Er schrieb Briefe an alle möglichen Könige und Regenten, um sie zu bekommen. Und dann lief er mit ihnen im Wohnzimmer herum. Die schmale Brust vollgepackt mit Orden, stolzierte er auf und ab. Hehehe. Er hatte auch einen Spiegel in seinem Zylinder, saß in seinem Café und spiegelte sich heimlich.«
»Das hat Ibsen getan?«, sagte Ingrid.
»Allerdings«, antwortete ich. »Er war extrem eitel. Ist das nicht im Grunde eine fantastischere Form von Tabubruch als bei Strindberg? Bei dem ging es um Alchemie und Wahnsinn und Absinth und Frauenhass, das ist doch bloß der typische Künstlermythos. Aber bei Ibsen, da ging es um bürgerliche Eitelkeit, die auf die Spitze getrieben wurde. Eigentlich war er viel verrückter als Strindberg.«
»Apropos«, sagte Vidar. »Habt ihr das Neueste über Arnes Buch mitbekommen? Der Verlag hat es jetzt doch zurückgezogen.«
»Das war sicher richtig«, sagte ich. »Wenn man bedenkt, wie viele Fehler es enthielt.«
»Ja, das stimmt schon«, meinte Vidar, »aber ich finde, der Verlag hätte ihm helfen müssen. Er war doch krank. Er hat es einfach nicht geschafft, zwischen seinen Fantasien, oder seinem Wunschdenken, und der Wirklichkeit zu unterscheiden.«
»Du denkst, dass er wirklich geglaubt hat, es wäre so gewesen?«
»Aber ja, ganz bestimmt. Er ist ein guter Mensch. Aber er hat auch etwas von einem notorischen Lügner. Ich meine damit, dass seine Geschichten für ihn selbst mit der Zeit zur Wahrheit werden.«
»Wie kommt er mit der Sache zurecht?«
»Ich weiß es nicht. Es ist nicht unbedingt das Erste, worüber man sich im Moment mit Arne unterhält.«
»Das kann ich verstehen«, sagte ich und lächelte. Ich trank den letzten Schluck Leichtbier, das alkoholarme Alltagsbier der Schweden, aß mein Brötchen auf und lehnte mich auf dem Stuhl zurück. Beim Abwasch zu helfen oder den Tisch abzuräumen, kam, wie ich wusste, nicht in Frage, so dass ich mich nicht einmal dazu aufraffen konnte, meine Hilfe anzubieten.
»Wollen wir spazieren gehen?«, fragte Linda und sah mich an. »Vielleicht schläft Vanja dann ein.«
»Von mir aus gern«, antwortete ich.
»Sie kann auch bei mir bleiben«, sagte Ingrid. »Wenn ihr alleine gehen wollt.«
»Aber nein. Wir nehmen sie mit. So, kleiner Troll, komm her, wir gehen«, sagte Linda, hob Vanja aus dem Stuhl und ging ihr den Mund abwaschen, während ich mich anzog und den Kinderwagen vorbereitete.
Wir folgten dem Weg, der zum Wasser hinunter führte. Ein kalter Wind wehte über die Felder. Auf der anderen Seite hüpften ein paar Krähen oder Elstern. Zwischen den Bäumen oberhalb von ihnen standen die großen Kühe und starrten regungslos vor sich hin. Einige der Bäume waren Eichen, sie waren alt, vielleicht aus dem 18. Jahrhundert, hatte ich mir überlegt, eventuell sogar noch älter, ich wusste es nicht. Auf der Rückseite verlief die Eisenbahnlinie, von dort erhob sich jedes Mal, wenn ein Zug vorbeifuhr, ein Rauschen und schallte über die Landschaft. Der Weg dorthin endete bei einem schönen, kleinen Steinhaus, in dem ein alter Pfarrer wohnte, der Vater von Lars Ohly, dem Parteivorsitzenden der Schwedischen Linkspartei, und man erzählte sich, dass er früher Nationalsozialist gewesen sei. Ob das stimmte, wusste ich nicht, bei bekannten Persönlichkeiten tauchten gerne mal Gerüchte
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