Lieben: Roman (German Edition)
schön«, meinte sie und begegnete flüchtig meinem Blick, ehe sie den Plastiklöffel in den Plastikteller steckte und ihn zu Vanjas Mund führte, die zur Abwechslung mal den Mund aufriss wie ein junges Vögelchen. Wenn wir zu ihnen kamen, wollte Ingrid sich instinktiv um alles kümmern, was Vanja betraf. Essen, Windeln, Kleider, Schlaf, frische Luft, alles wollte sie tun. Sie hatte einen Kinderstuhl, Kinderteller und Kinderbesteck, Saugflaschen und Spielsachen und sogar einen zweiten Kinderwagen gekauft, der hier draußen immer wartete, und darüber hinaus viele Gläser Babynahrung und Brei, die im Schrank standen. Fehlte etwas, bat Linda beispielsweise um einen Apfel oder machte sich Sorgen, Vanja könnte erhöhte Temperatur haben, schwang sie sich aufs Fahrrad und radelte die drei Kilometer zum Geschäft oder zur Apotheke und mit Äpfeln oder Thermometer und fiebersenkenden Mitteln in dem kleinen Korb am Lenker wieder zurück. Und wenn wir herkamen, hatte sie sorgsam geplant und bereits für alle Mahlzeiten eingekauft, die mittags häufig aus zwei und abends aus drei Gängen bestanden. Sie stand auf, wenn Vanja gegen sechs aufwachte, backte ihr Brötchen,
machte eventuell einen Spaziergang mit ihr und begann anschließend, das Mittagessen vorzubereiten. Wenn wir gegen neun aufstanden, empfing uns ein reichhaltig gedeckter Frühstückstisch mit frischen Brötchen, gekochten Eiern oder auch mal einem Omelette, wenn sie zum Beispiel überzeugt war, dass ich so etwas gerne aß, Kaffee und Saft, und wenn ich mich setzte, legte sie stets die Zeitung, die sie bereits hereingeholt hatte, an meinen Platz. Sie war wirklich ungewöhnlich positiv eingestellt, hatte für alles Verständnis, es kam kein Nein aus ihrem Mund, und es gab einfach nichts, wobei sie uns nicht helfen konnte. Die Gefriertruhe daheim war mit einer schier unendlichen Zahl von Eisbehältern und Heringseimern mit verschiedenen Gerichten gefüllt, die sie zubereitet und beschriftet hatte: Hackfleischsauce, Janssons Versuchung, Kartoffel- und Rindfleischtopf, Fleischklößchen, Gefüllte Paprika, Gefüllte Pfannkuchen, Erbsensuppe, Lammkeule mit Bratkartoffeln, Bœuf Bourgignon, Lachspudding, Käse-Lauch-Torte… Ging ein kühler Wind, wenn sie mit Vanja spazieren war, tja, dann konnte es schon einmal vorkommen, dass sie in ein Schuhgeschäft ging und ihr neue Stiefelchen kaufte.
»Wie geht es deiner Mutter?«, sagte sie nun. »Geht es ihr gut?«
»Ja, ich denke schon«, antwortete ich. »Wenn ich sie richtig verstanden habe, ist sie mit ihrer Diplomarbeit fast fertig.«
Ich strich mir mit der Serviette etwas Suppe vom Kinn.
»Aber sie will nicht, dass ich sie lese«, fügte ich lächelnd hinzu.
»Vor dieser Leistung muss man wirklich Respekt haben«, meinte Vidar. »Es gibt nicht viele Sechzigjährige, die noch die erforderliche Neugier für ein Universitätsstudium aufbringen, so viel ist sicher.«
»Das sieht sie bestimmt mit etwas gemischten Gefühlen«, sagte ich. »Sie hat das immer tun wollen, und dann wird endlich
etwas daraus, als ihre berufliche Laufbahn fast vorbei ist.«
»Trotzdem«, sagte Ingrid. »Das ist schon stark. Sie ist eine starke Frau, deine Mutter.«
Ich lächelte erneut. Der Abstand zwischen dem Schwedischen und dem Norwegischen war viel größer, als sie wussten, und nun sah ich meine Mutter für einen Moment mit den Augen der Schweden.
»Ja, das ist sie vielleicht«, sagte ich.
»Grüße sie von uns«, sagte Vidar. »Und die restliche Familie bitte auch. Ich fand sie alle unheimlich nett.«
»Seit wir bei der Taufe waren, spricht Vidar ständig von ihnen«, sagte Ingrid.
»Das waren aber auch richtige Persönlichkeiten!«, sagte Vidar. »Kjartan, der Dichter. Was für ein interessanter und ungewöhnlicher Mann. Und wie hießen die noch, die aus Ålesund, die Kinderpsychologen?«
»Ingunn und Mård?«
»Ja, genau. Sehr nett! Und Magne, hieß er nicht so? Der Vater deines Cousins Jon Olav? Der Stadtplaner?«
»Richtig«, bestätigte ich.
»Ein Mann mit Autorität«, erklärte Vidar.
»Ja«, sagte ich.
»Und der Bruder deines Vaters. Der Lehrer aus Trondheim. Das war auch ein feiner Mann. Ähnelt er deinem Vater?«
»Nein«, sagte ich. »Ich denke, er ähnelt ihm wahrscheinlich am wenigsten von allen. Er hat sich immer ein bisschen fern gehalten, und ich glaube, das war klug von ihm.«
Es entstand eine Pause. Suppe wurde geschlürft. Vanja klopfte mit der Tasse auf den Tisch und lachte gurgelnd.
»Sie sprechen
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