Lieben: Roman (German Edition)
hatte, was er hatte erleiden müssen, hätte sich die Radieschen von unten angesehen.
»Dein Buch soll ins Schwedische übersetzt werden, hat Vidar erzählt?«, sagte er.
»Ja«, antwortete ich.
»Und wann? Das möchte ich wirklich nicht verpassen.«
»Sie sagen, nächsten Herbst, aber es wird sicher der Herbst danach werden.«
»Ich kann warten«, erklärte er.
Wie alt mochte er sein? Ende sechzig? Das war schwer zu sagen, es gab nichts Altherrenhaftes an ihm, sein funktionierendes Auge leuchtete jugendlich, und obwohl es damit eine Ausnahme bildete in seinem Gesicht, dessen übrige Teile zerfurcht und verlebt, blutunterlaufen und rot geädert waren, schimmerte diese Frische doch auch auf andere Art durch, vor allem im eifrigen Ton seiner Stimme, die zu einer Langsamkeit gezwungen wurde, die nicht zu ihr passte, aber auch im Gesamteindruck, den er vermittelte, seiner Ausstrahlung, die trotz des Widerstands, den ihm sein Körper ansonsten leistete, seltsamerweise energisch wirkte. Er war in einem Kinderheim aufgewachsen, aber nicht auf die schiefe Bahn geraten wie seine Kameraden. Er hatte auf hohem Niveau Fußball gespielt, jedenfalls wenn man dem Glauben schenken mochte, was er erzählte, und als Journalist viele Jahre für die Tageszeitung Expressen gearbeitet. Darüber hinaus hatte er mehrere Bücher veröffentlicht.
Wenn sie dabei war und er etwas sagte, sah seine Frau ihn immer nachsichtig an, so wie alle Frauen, die mit Jungen verheiratet waren, diese mit Nachsicht betrachteten. Sie war Krankenschwester und näherte sich der Grenze ihrer Belastbarkeit, denn zusätzlich zu ihrem kranken Mann, um den sie sich kümmern musste, hatte ihr Kind gerade Zwillinge bekommen und brauchte ebenfalls ihre Hilfe.
»Ja, ja«, sagte er jetzt. »Es war schön, dich zu treffen, Linda, und dich, Karl Ove.«
»Das finde ich auch«, sagte ich.
Er hob die Hand an die Stirn und ging, bei jedem Schritt den Stock hebend, weiter.
Sein starres, tränendes Auge, das während des gesamten Gesprächs geradeaus gestarrt hatte, hätte einem Troll oder einem anderen mythologischen Geschöpf gehören können,
und auch wenn ich es nicht konstant vor mir sah, hielt sich das Gefühl, das es hervorgerufen hatte, den ganzen Tag in mir.
»Er hat keinen sonderlich zerknirschten Eindruck gemacht«, sagte ich, als er hinter der Kurve verschwunden war und wir weitergingen.
»Nein«, sagte Linda. »Aber es ist nie leicht zu sehen, wie es den Leuten wirklich geht.«
In der Ferne schwoll ein neues Rauschen an, diesmal von der anderen Seite kommend. Ich setzte Vanja auf, die blinzelnd im Wagen lag, und drehte sie so, dass sie den Zug sehen konnte, der unmittelbar darauf zwischen den Bäumen an uns vorbeischoss. Es blieb nicht unbemerkt, sie zeigte und rief, als er uns so nahe passierte, dass sich im nächsten Moment eine dünne Schicht puderigen Schnees auf mein Gesicht legte, um dort augenblicklich zu schmelzen.
Einen knappen Kilometer weiter, an einem Wall direkt an der Eisenbahnlinie, hörte der Weg auf. Die Wiese dahinter, auf der im Sommerhalbjahr häufig Pferde weideten, lag weiß und unberührt wie ein Tuch zwischen den Bäumen. Zu meiner Linken, Richtung Osten, stand ein Haufen Häuser, hinter denen eine Straße verlief, und folgte man ihr, gelangte man zu einem großen und schönen Gutshof, der Olof Palmes Bruder gehörte. Als Linda und ich an einem Sommerabend mit den Fahrrädern unterwegs waren, hatten wir uns dorthin verirrt, die Räder auf dem Kiesweg zwischen den Häusern hindurch geschoben, wo eine weißgekleidete Gesellschaft im Freien mit Aussicht auf den großen See und das Zentrum von Gnesta in der Ferne am anderen Ufer speiste. Auch wenn ich sorgsam darauf achtete, in eine andere Richtung zu schauen, nahm ich die Abendgesellschaft doch wahr, die in Bergmanscher Manier auf weißen Gartenmöbeln saß und aß, zwischen strengen weißen Hofhäusern und roten, modernen Wirtschaftsgebäuden, mitten in der grünen, wogenden Landschaft Södermanlands.
Nun hob ich Vanja aus dem Wagen und nahm sie auf den Arm, als wir kehrtmachten und denselben Weg zurück nahmen.
Als wir eine halbe Stunde später den Anstieg vor dem Haus hinaufkamen, drangen laute Stimmen zu uns hinaus. Durch das Küchenfenster sah ich Ingrid und Vidar, sie standen sich, den Wohnzimmertisch zwischen sich, gegenüber und schrien sich an. Wir kamen wohl etwas früher, als sie uns zurückerwartet hatten, außerdem dämpfte der Schnee unsere Schritte. Erst als ich
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