Lieben: Roman (German Edition)
weniger wahr, oder?«
»Nein, nicht unbedingt, aber ich denke daran, was meine Mutter damals über dich sagte, dass du die Menschen in deiner Nähe groß machst, weil du möchtest, dass dein Leben groß ist.«
»Aber es ist doch groß. Das Leben aller ist so groß, wie man es macht. In meinem eigenen Leben bin ich der Held. Bekannte Menschen, berühmte Menschen, Menschen, die jeder kennt, sind nicht von alleine, auf Grund ihrer selbst bekannt und berühmt, jemand hat sie bekannt gemacht, jemand hat über sie geschrieben, sie gefilmt, über sie geredet, sie analysiert, sie bewundert. Auf die Art werden sie für andere groß. Aber das ist doch bloß eine Inszenierung. Soll meine Inszenierung etwa weniger wahr sein? Nein, im Gegenteil, denn die Leute, die ich kenne, sind im selben Raum wie ich, ich kann sie anfassen, ihnen ins Gesicht sehen, wenn wir uns unterhalten, wir treffen uns hier und jetzt, und das tun wir ja nicht mit einem von all diesen Namen, die ununterbrochen um uns herumschwirren. Ich bin der Kellermensch, und du bist Ikarus.«
Die Kellnerin näherte sich mit dem Essen. Auf dem Teller, den sie vor Geir absetzte, ragte ein Stück Schweinebauch wie ein Eiland aus einem See weißer Zwiebelsauce. Auf meinem lagen die Fleischbällchen in einem dunklen Haufen neben den leuchtend grünen Erbsen und den roten Preiselbeeren, alles neben einer sämigen, hellbraunen Sahnesauce. Die Kartoffeln kamen in einer separaten Schüssel auf den Tisch.
»Vielen Dank«, sagte ich und blickte zur Kellnerin hoch. »Kann ich noch eins bekommen?«
»Ein Staro«, sagte sie und sah Geir an. Er legte die Serviette auf die Oberschenkel und schüttelte den Kopf.
»Ich warte noch, danke.«
Ich trank den letzten Schluck im Glas und legte drei Kartoffeln auf meinen Teller.
»Das war kein Kompliment, falls du das glauben solltest«, sagte Geir.
»Was meinst du?«, sagte ich.
»Das Heiligenbild. Moderne Menschen wollen keine Heiligen sein Was ist das Leben eines Heiligen? Leiden, Aufopferung und Tod. Wer zum Teufel will ein gutes Innenleben haben, wenn er kein äußeres Leben hat? Die Leute denken nur daran, was das nach innen Gewandte ihnen an äußerem Leben und Erfolg einbringen kann. Welche Beziehung hat der moderne Mensch zum Gebet? Für den modernen Menschen gibt es eine einzige Art von Gebet, das Wunschgebet. Man betet höchstens noch, wenn man etwas haben will.«
»Aber ich will doch eine Menge haben.«
»Sicher, sicher. Aber es bereitet dir keine Freude. Kein glückliches Leben anzustreben ist das Provozierendste, was man überhaupt tun kann. Und noch einmal, das ist kein Kompliment. Im Gegenteil. Ich will doch das Leben haben. Es ist das Einzige, was zählt.«
»Mit dir zu reden ist, als machte man eine Therapie beim
Teufel«, sagte ich und stellte die Schüssel mit den Kartoffeln vor ihm ab.
»Aber der Teufel verliert am Ende immer«, sagte er.
»Das wissen wir nicht«, erwiderte ich. »Wir sind noch nicht am Ende.«
»Da hast du Recht. Aber nichts deutet darauf hin, dass er gewinnen wird. Jedenfalls soweit ich sehe nicht.«
»Obwohl Gott nicht mehr unter uns weilt?«
»Unter uns trifft es genau. Früher war er nicht hier, er war über uns. Jetzt haben wir ihn internalisiert. Verinnerlicht.«
Wir aßen einige Minuten schweigend.
»Und?«, sagte Geir schließlich. »Wie ist dein Tag gewesen?«
»Es ist kaum ein Tag gewesen«, antwortete ich. »Ich habe versucht, diesen Vortrag zu schreiben, du weißt schon, aber es kam nur Unsinn dabei heraus, also habe ich mich hingelegt und bis eben gelesen.«
»Das ist doch nicht die dümmste Art, seine Zeit zu verbringen?«
»Nein, an sich nicht. Aber ich merke, wie wütend ich auf das Ganze bin. Das wirst du übrigens nie verstehen.«
»Was meinst du denn mit ›das Ganze‹?«, sagte Geir und stellte das Halbliterglas ab.
»In diesem konkreten Fall ist es das Gefühl, das sich bei mir einstellt, wenn ich etwas über meine beiden Bücher schreiben soll. Ich bin gezwungen, so zu tun, als wären sie bedeutend, denn wenn nicht, kann man nicht über sie reden, und damit schmeichelt man sich irgendwie selbst, was abstoßend ist, weil ich dastehen und schmeichelhafte Dinge über meine eigenen Bücher sagen soll, und die Leute, die mir zuhören, sind wirklich interessiert. Warum? Hinterher kommen sie dann zu mir und wollen loswerden, wie fantastisch sie die Bücher finden und was für ein unglaublich toller Vortrag das war, und ich will ihren Blicken nicht begegnen, ich will
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