Lieben: Roman (German Edition)
Verstümmelung.«
»Wessen?«
»Des Lebens, der Möglichkeiten, darin zu leben, etwas zu erschaffen. Leben zu erschaffen, nicht Literatur. Für mich lebst du in einer fast beängstigenden Askese. Oder nein, in einer Askese, in der du dich suhlst. Das ist, meines Erachtens, äußerst ungewöhnlich. Zutiefst abweichend. Ich glaube nicht, dass ich jemals einem Menschen begegnet bin, oder von jemandem gehört hätte … Tja, wie gesagt, da muss ich schon zu den Heiligen oder Kirchenvätern zurückgehen.«
»Jetzt mach aber mal einen Punkt.«
»Du hast mich darum gebeten. Es gibt keinen Begriffsapparat für dich. Es ist keine Outsidereigenschaft, es steht keine Moral auf dem Spiel, es ist keine soziale Moral, das trifft es nicht. Es ist Religion. Selbstverständlich ohne einen Gott. Du bist der Einzige, den ich kenne, der ungläubig am Abendmahl teilnehmen kann, ohne blasphemisch zu sein. Der Einzige.«
»Du kennst doch sonst niemanden, der das getan hat.«
»Doch, aber nicht mit Reinheit! Ich habe es getan, als ich konfirmiert wurde. Ich tat es für das Geld. Dann trat ich aus der Staatskirche aus. Was machte ich mit dem Geld? Nun, ich kaufte mir ein Messer. Aber darüber haben wir nicht gesprochen. Wo waren wir noch gleich?«
»Bei mir.«
»Ja, genau. Du erinnerst mich ehrlich gesagt an Beckett. Nicht in der Art, wie du schreibst, aber in der Nähe zum Heiligen. Es ist, wie Cioran an einer Stelle schreibt: ›Verglichen mit Beckett bin ich eine Hure.‹ Ha ha ha! Ich glaube, das trifft den Nagel auf den Kopf. Und dabei wird Cioran als einer der Unbestechlichsten überhaupt betrachtet. Ich schaue mir dein Leben an und betrachte es als vollkommen vergeudet. Das geht mir an und für sich bei allen so, aber dein Leben ist noch vergeudeter, weil es mehr zu vergeuden gibt. Bei deiner Moral geht es nicht um die Steuererklärung, wie dieser
Idiot geglaubt hat, sondern um dein Wesen. Schlicht und ergreifend um das Wesen. Und diese riesige Diskrepanz zwischen dir und mir führt dazu, dass wir täglich miteinander reden können. Sympathie ist der treffende Begriff. Ich kann mit deinem Schicksal sympathisieren. Denn es ist ein Schicksal, es ist nichts, woran du etwas ändern könntest. Ich kann mir das nur ansehen. Mit dir lässt sich nichts machen. Es gibt nichts zu tun. Du tust mir leid. Aber ich kann es nur als eine Tragödie beobachten, die sich in meiner Nähe abspielt. Von einer Tragödie spricht man, wie du weißt, wenn es einem großen Menschen schlecht geht. Im Gegensatz zur Komödie, die vorliegt, wenn es einem schlechten Menschen gut geht.«
»Warum Tragödie?«
»Weil es so freudlos ist. Weil dein Leben so freudlos ist. Es steckt so unglaublich viel in dir, du hast so viel Talent, das dir im Weg steht, es wird zu Kunst, aber nie zu mehr. Du bist wie Midas. Alles, was er anfasst, wird zu Gold, aber er findet keine Freude daran. Um ihn herum funkelt und glitzert es, wo er geht und steht. Andere suchen und suchen, und wenn sie einen Goldklumpen finden, verkaufen sie ihn, um sich Leben, Prunk, Musik, Tanz, Genuss, Luxus oder wenigstens eine Möse zu besorgen, um sich an eine Frau heranzumachen, nur um für ein oder zwei Stunden zu vergessen, dass sie existieren. Was du begehrst, ist unschuldig und eine unmögliche Rechenaufgabe. Begierde und Unschuld passen nie in dieselbe Gleichung. Das Höchste ist nicht mehr das Höchste, nachdem du deinen Schwanz hineingesteckt hast. Du hast die Midas-Position bekommen, du kannst alles bekommen, was meinst du eigentlich, wie viele das sonst können? Kaum jemand. Wie viele lehnen dankend ab? Noch weniger. Einer, soweit ich weiß. Na, wenn das keine Tragödie ist, dann weiß ich auch nicht. Was meinst du, hätte dein Journalist damit etwas anfangen können?«
»Nein.«
»Nein. Er hat seine Journalisten-Waage, auf der er alle wiegt. Von den Journalisten werden alle über einen Kamm geschoren, das ganze System basiert darauf. Aber auf die Art kommt er nicht einmal ansatzweise in die Nähe von dir und dem Menschen, der du bist. Das kannst du vergessen.«
»Das gilt für alle, Geir.«
»Na ja, vielleicht, vielleicht auch nicht. Du hast mit deinem verdrehten Selbstbild und deiner Sehnsucht, wie alle anderen zu sein, ja auch selber Anteil daran.«
»Das sagst du. Ich sage, das Bild, das du von mir zeichnest, kannst nur du skizzieren. Yngve oder meine Mutter oder irgendwer sonst von meinen Verwandten und Freunden wüssten nicht, wovon du redest.«
»Aber das macht es doch nicht
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