Lieben: Roman (German Edition)
arbeitete, wenn ich es recht verstand, an der Schnittstelle zwischen Verlagen und Buchhandel. Irgendwelche Events? Feste und Events…? Ganz gleich, was es war, ich wollte nichts davon hören.
»Das war übrigens letzthin ein schöner Abend bei euch«, sagte Geir.
»Haben wir uns da das letzte Mal gesehen?«
»Wieso?«
»Das ist doch schon fünf Wochen her. Seltsam, dass du jetzt darauf zu sprechen kommst.«
»Ah, so meinst du das. Ich habe gestern mit Christina darüber gesprochen, vielleicht deshalb. Wir überlegen, euch alle bald zu uns einzuladen.«
»Gute Idee«, sagte ich. »Hast du eigentlich gesehen, dass Thomas hier ist? Er sitzt da hinten.«
»Ach wirklich? Hast du mit ihm gesprochen?«
»Nur kurz. Er meinte, er würde später mal vorbeischauen.«
»Hat er dir erzählt, dass er gerade dein Buch liest?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Der Essay über Engel hat ihm sehr gut gefallen, er meinte, der hätte viel länger sein müssen. Aber es ist typisch für ihn, dass er dir nichts dazu sagt. Wahrscheinlich ist ihm entfallen, dass du den Roman geschrieben hast. Ha ha ha! Er ist wirklich extrem vergesslich.«
»Er ist sicher bloß einfach sehr in sich gekehrt«, sagte ich. »Mir geht es genauso. Und ich bin verdammt nochmal erst fünfunddreißig. Erinnerst du dich, als ich mit Thure Erik hier war? Wir saßen den ganzen Tag und Abend zusammen und tranken. Nach einer Weile sprach er über sein Leben. Er erzählte von seiner Kindheit, seinem Vater und seiner Mutter und den Schwestern, von der Familie in früheren Generationen, und erstens ist er ein verdammt guter Erzähler, zweitens sagte er einige wirklich spannende Dinge. Aber obwohl ich ihm intensiv zuhörte und dachte, verdammt, das ist fantastisch, hatte ich am nächsten Tag alles vergessen. Nur der Rahmen war geblieben. Dass es um seine Kindheit, den Vater und seine Familie gegangen war. Und dass es spannend gewesen war. Aber was so spannend gewesen war, wusste ich nicht mehr. Nichts! Völlige Leere!«
»Du warst betrunken.«
»Das hat damit nichts zu tun. Ich erinnere mich, dass Tonje immer über etwas Schreckliches sprach, was ihr irgendwann vor langer Zeit passiert war, sie kam immer wieder darauf zurück, wollte mir aber nie sagen, worum es dabei ging, wir kannten uns noch nicht gut genug, es war das große Geheimnis in ihrem Leben. Verstehst du? Zwei Jahre vergingen, bis sie endlich bereit war, es mir zu erzählen. Es war kein Alkohol im Spiel. Und ich war ganz bei ihr, ich hörte mir aufmerksam und ausführlich an, was sie zu sagen hatte, und hinterher unterhielten wir uns noch lange darüber. Aber danach verschwand es einfach. Ein paar Monate später war es komplett weg. Ich erinnerte mich an nichts. Und das brachte mich natürlich in eine extrem schwierige Position, denn für sie war es ein so wunder Punkt, es war ein Schmerzpunkt, es war fast so, dass sie mich verlassen hätte, wenn ich ihr gestanden hätte, dass ich mich leider an nichts erinnern konnte. Also musste ich jedes Mal, wenn die Sache hochkam, so tun, als könnte ich mich an alles erinnern. Und das gilt für alles Mögliche. Fredrik vom Damm Verlag schlug ich beispielsweise einmal vor, ein Buch mit norwegischer Kurzprosa zu veröffentlichen, und in seiner nächsten Mail ging er darauf ein, sprach die Idee aber nicht direkt an, so dass ich keine Ahnung hatte, wovon er redete. Ich hatte es völlig vergessen. Es gibt Autoren, die mir mit großer Leidenschaft und Intensität erzählt haben, woran sie gerade schreiben, und ich bin darauf eingegangen, habe mit ebenso großer Leidenschaft darüber gesprochen, vielleicht eine halbe oder ganze Stunde am Stück. Ein paar Tage später, einfach weg. Ich weiß bis heute nicht, worüber meine Mutter ihre Diplomarbeit geschrieben hat. Ab einem bestimmten Zeitpunkt kann man nicht mehr fragen, ohne sie zu beleidigen, also spiele ich den Leuten etwas vor. Sitze da und nicke und lächele und grübele, worum zum Teufel es
noch einmal ging. So geht es mir in allen Lebensbereichen. Und du glaubst vielleicht, es könnte damit zusammenhängen, dass ich mich nicht genügend interessiere oder dass ich nicht richtig zuhöre, aber das ist es nicht, die Dinge interessieren mich, und ich höre aufmerksam zu. Trotzdem, zack, weg. Yngve erinnert sich dagegen an alles. Alles! Linda erinnert sich an alles. Und du erinnerst dich an alles. Aber um das Ganze noch zu komplizieren, gibt es auch Sachen, die niemals gesagt wurden oder niemals passiert sind, obwohl
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