Lieben: Roman (German Edition)
sie nicht sehen, ich
will aus dieser Hölle verschwinden, denn ich bin in ihr gefangen, verstehst du? Lob ist verdammt nochmal das Schlimmste, was man einem Menschen zumuten kann. Georg Johannesen spricht ja von Lobkompetenz, aber das ist eine überflüssige Unterscheidung, sie unterstellt, dass es tatsächlich ein wertvolles Lob gibt, aber das gibt es nicht. Je höher die Instanz ist, von der es kommt, desto schlimmer. Erst bekomme ich ein mulmiges Gefühl, da es in mir ja keine entsprechende Substanz gibt, und anschließend werde ich wütend. Wenn die Leute anfangen, mich in einer bestimmten Weise zu behandeln. Ach, du weißt schon. Oder nein, verdammt, davon weißt du eben nichts! Du stehst ja ganz unten in der Hierarchie! Du willst ja noch nach oben. Ha ha ha!«
»Ha ha ha!«
»Das mit dem Lob stimmt übrigens nicht ganz«, fuhr ich fort. »Wenn du sagst, dass etwas gut ist, bedeutet mir das etwas. Wenn Geir es sagt, hat es eine Bedeutung. Und bei Linda natürlich, und bei Tore und Espen und Thure Erik. Alle, die mir nahestehen. Ich rede von allen Außenstehenden. Über die ich keine Kontrolle mehr habe. Ich weiß nicht, was es ist… Außer, dass Erfolg trügerisch ist. Es macht mich schon wütend, nur darüber zu sprechen.«
»Es gibt zwei Dinge, die du mal gesagt hast und über die ich oft nachgedacht habe«, meinte Geir und sah mich an, Messer und Gabel schwebten fast über seinem Teller. »Das erste war, als du von Harry Martinsons Selbstmord erzählt hast. Dass er sich den Bauch aufschlitzte, nachdem er den Nobelpreis bekommen hatte. Du meintest, dir wäre vollkommen klar, wieso.«
»Ja, das liegt doch auf der Hand«, sagte ich. »Den Literaturnobelpreis zu bekommen ist für einen Schriftsteller doch die größte Schande überhaupt. Außerdem wurden hinter seinen Preis systematisch Fragezeichen gesetzt. Er war Schwede,
er war Mitglied der Schwedischen Akademie, es war eindeutig, dass es eine Art Freundschaftsdienst war und er ihn im Grunde nicht verdient hatte. Und wenn er ihn nicht verdient hatte, war das Ganze doch nur eine Verhöhnung. Du musst verdammt stark sein, wenn du es durchstehen willst, so verhöhnt zu werden. Und für Martinson mit seinen ganzen Minderwertigkeitskomplexen muss es unerträglich gewesen sein. Wenn er es denn wirklich deshalb getan hat. Was war das zweite?«
»Hm?«
»Du meintest, ich hätte zwei Dinge gesagt, die du dir gemerkt hast. Was war das zweite?«
»Ach so. Es ging um Jastrau in Roman einer Verwüstung . Erinnerst du dich?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Nirgendwo sonst sind Geheimnisse so gut aufgehoben wie bei dir«, erklärte er. »Du vergisst wirklich alles. Dein Gehirn ist wie ein Schweizer Käse ohne Käse. Du meintest, Roman einer Verwüstung sei das furchtbarste Buch, das du je gelesen hättest. Du meintest, der Absturz darin sei kein Absturz. Er lasse einfach los und treibe ab, gebe alles auf, was er besitze, um zu trinken, und dass dies im Buch als eine realistische Alternative dargestellt werde. Will sagen eine gute Alternative. Einfach alles loszulassen, was man hat, und abzutreiben. Wie von einem Bootsanleger.«
»Jetzt erinnere ich mich wieder. Er schreibt so brillant darüber, wie es ist, betrunken zu sein. Wie fantastisch das sein kann. Und daraufhin bekommt man das Gefühl, dass es gar nicht so schlimm ist. Dieses Dumpfe, fast Willenlose am Absturz hatte ich bis dahin nicht bedacht. Vorher sah ich darin etwas Dramatisches, etwas alles Entscheidendes. Es war schockierend, daran zu denken wie an etwas Alltägliches, Willkürliches und vielleicht auch Schönes. Denn es ist doch schön.
Der Rausch des zweiten Tags, zum Beispiel. Was da hochkommt …«
»Ha ha ha!«
»Du könntest niemals loslassen«, sagte ich. »Oder?«
»Nein. Könntest du?«
»Nein.«
»Ha ha ha! Aber fast alle, die ich kenne, haben es getan. Stefan trinkt die ganze Zeit auf seinem Hof. Trinkt, grillt ganze Schweine und fährt Traktor. Als ich im Sommer zu Hause war, trank Odd Gunnar Whisky aus Milchgläsern. Die Entschuldigung dafür, sie bis zum Rand zu füllen, lautete, dass ich ihn besuchte. Aber ich selbst trank doch keinen einzigen Tropfen. Und dann haben wir noch Tony. Aber der ist drogensüchtig, da liegt der Fall ein wenig anders.«
An einem der Tische am anderen Ende stand eine Frau auf, die uns bis dahin den Rücken zugekehrt hatte, und als sie auf die Tür zu den Toiletten zuging, sah ich, dass es Gilda war. In den wenigen Sekunden, die ich in Reichweite ihres
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