Lieben: Roman (German Edition)
ich mir absolut sicher bin, dass sie geschehen sind. Noch einmal Thure Erik: Erinnerst du dich, dass ich in Biskops-Arnö Henrik Hovland getroffen habe?«
»Natürlich erinnere ich mich.«
»Es stellte sich heraus, dass er von einem Hof stammt, der ganz in der Nähe von Thure Eriks lag. Er kannte die Familie gut und sprach ein wenig über Thure Eriks Vater. Daraufhin sagte ich, Thure Eriks Vater sei inzwischen gestorben. Aha?, sagte Henrik Hovland, das ist mir neu. Andererseits habe er allerdings auch nicht mehr so viel Kontakt zu den Leuten in der Gegend, meinte er. Dennoch war er ganz offensichtlich überrascht, bezweifelte aber natürlich nicht, dass es stimmte. Warum sollte ich sagen, dass Thure Eriks Vater tot war, wenn er es nicht war? Denn das war er natürlich nicht. Als ich Thure Erik das nächste Mal begegnete, sprach er im Präsens und ganz selbstverständlich und ohne Trauer über seinen Vater. Der Mann war quicklebendig. Wieso hatte ich also geglaubt, dass er tot war? Und zwar so, dass ich es für eine Tatsache hielt? Ich habe keine Ahnung. Aber es bedeutete natürlich, dass ich danach bei jeder Begegnung mit Thure Erik Angst hatte, denn was war, wenn er Hovland getroffen und der ihm kondoliert hatte, und Thure Erik hatte ihn angesehen wie ein Auto, wovon redet der Typ da, na, dein Vater, er ist ja so plötzlich gestorben, mein Vater, woher zum Teufel hast du
denn das? Ja also, Knausgård meinte das. Er lebt? Ist es das, was du mir sagen willst? Aber Knausgård hat doch gesagt? Kein Mensch auf der Welt würde glauben, dass es keine Absicht war, dass ich wirklich daran glaubte, denn warum sollte ich das glauben, niemand konnte es mir gesagt haben, keine anderen Väter von Leuten, die ich kannte, waren damals gestorben, eine Verwechslung war somit ausgeschlossen. Es war ein Hirngespinst, aber ich dachte, es sei wirklich. Das ist mir schon öfter passiert, aber nicht, weil ich ein Mythomane bin, ich glaube tatsächlich daran. Weiß der Himmel, wie viel von dem, was ich für Fakten halte, lediglich Fantasien sind!«
»Gut für dich, dass ich so ein Monomane bin und die ganze Zeit immer über das Gleiche rede. Auf die Art prägt es sich dir ein, und du kannst nicht danebenliegen.«
»Bist du sicher? Was ist mit deinem Vater, ist es lange her, dass du mit ihm gesprochen hast?«
»Ha ha.«
»Es ist ein Gebrechen. Als hätte man schlechte Augen. Das da hinten, ist das ein Mensch? Oder ein kleiner Baum? Huch, jetzt bin ich gegen irgendetwas gestoßen. Ein Tisch! Aha, das ist ein Restaurant! Dann sollte ich mich auf dem Weg zur Theke an der Wand entlanghangeln. Hoppla! Weich? Ein Mensch? Entschuldigung! Sie kennen mich? Ah, Knut Arild! Verdammt! Ich habe dich im ersten Moment gar nicht erkannt… Und der furchtbare Gedanke, der sich daraus ergibt, lautet, dass alle ähnliche Gebrechen haben. Ihre inneren, privaten und geheimen Abgründe, die sie mit großem Kraftaufwand übertünchen. Dass die Welt voller innerer Krüppel ist, die übereinanderstolpern. Ja, hinter all den schönen und weniger schönen, aber zumindest normalen und nicht beängstigenden Gesichtern, mit denen wir uns auseinandersetzen. Nicht seelisch oder geistig oder psychisch, sondern das Bewusstsein betreffend, fast physiognomisch. Defekte in den
Gedanken, im Bewusstsein, im Gedächtnis, der Wahrnehmungsfähigkeit, der Auffassungsgabe.«
»Aber so ist es doch. Ha ha ha! So ist es doch wirklich! Schau dich um, Mann! Wach auf! Was glaubst du denn, wie viele Mängel im Weltverständnis allein in diesem Raum versammelt sind? Was meinst du denn, warum wir für alles, was wir tun, Formen etabliert haben? Gesprächsformen, Anredeformen, Vorlesungsformen, Servierformen, Essformen, Trinkformen, Gehformen, Sitzformen, sogar Sexformen. You name it. Warum ist die Normalität denn so erstrebenswert, wenn nicht exakt aus diesem Grund? Es ist der einzige Ort, an dem wir einander sicher begegnen können. Aber selbst dort begegnen wir uns nicht. Arne Næss hat einmal darüber gesprochen: Als er wusste, dass er einen gewöhnlichen, normalen Menschen treffen würde, gab er sich alle Mühe, selber gewöhnlich und normal zu erscheinen, während dieser normale Mensch sich seinerseits wahrscheinlich aufs Äußerste anstrengte, um an Næss heranzureichen. Dennoch würden sie Næss zufolge einander niemals begegnen, der Abgrund zwischen ihnen lasse sich durch nichts überbrücken. Formal, ja, aber nicht real.
»Aber war es nicht auch Arne Næss, der andererseits
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