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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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meinte, er könne überall auf dem Erdball mit einem Fallschirm aus dem Flugzeug abspringen und wissen, dass man ihm immer mit Gastfreundschaft begegnen werde? Dass er irgendwo immer eine Mahlzeit und ein Bett bekommen werde?«
    »Doch, das war er. Ich habe in meiner Dissertation darüber geschrieben.«
    »Dann habe ich es bestimmt daher. Die Welt ist klein.«
    »Jedenfalls unsere«, sagte Geir und lächelte. »Aber er hat natürlich vollkommen Recht. Das ist auch meine Erfahrung. Es gibt eine Art kleinste gemeinsame Menschlichkeit, der man überall begegnet. In Bagdad war es auf jeden Fall so.«
    Hinter ihm kam Gilda auf halbhohen Absätzen und in einem geblümten, sommerlichen Kleid auf uns zu.
    »Hi, Karl Ove«, sagte sie. »Wie geht’s?«
    »Hallo, Gilda«, sagte ich. »Ganz gut. Und dir?«
    »Gut. Allerdings arbeite ich ziemlich viel. Und wie läuft es zu Hause? Mit Linda und eurer kleinen Tochter? Schlimm, wie lange wir uns nicht mehr gesprochen haben. Geht es ihr gut? Fühlt sie sich wohl?«
    »Ja, klar. Im Moment ist sie viel an der Uni. Also schiebe ich Vanja tagsüber durch die Gegend.«
    »Und wie ist das?«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Okay.«
    »Weißt du, ich denke selbst darüber nach, wie es wäre, ein Kind zu bekommen. Ich finde, sie sind ein bisschen eklig. Und das mit dem riesigen Bauch und der Milch in den Brüsten macht mir, ehrlich gesagt, Sorgen. Aber Linda gefällt es?«
    »Oh ja.«
    »Tja, da sieht man’s mal wieder. Grüß sie bitte von mir. Ich rufe sie demnächst an. Richte ihr das bitte aus!«
    »Mache ich. Grüß Kettil von mir!«
    Sie hob die Hand zu einem kurzen Winken und kehrte zu ihrem Platz zurück.
    »Sie hat kürzlich den Führerschein gemacht«, sagte ich. »Habe ich dir davon erzählt? Als sie das erste Mal alleine im Auto unterwegs war, hatte sie einen Lastwagen vor sich, und dann verengten sich ein Stück voraus die zwei Spuren zu einer, aber sie dachte, sie könnte ihn noch überholen, gab Gas und schwenkte nach links, um im nächsten Moment erkennen zu müssen, dass sie es nicht mehr schaffen würde. Der Wagen wurde gegen die Leitplanke gedrückt, kippte auf die Seite und rutschte mehrere hundert Meter weiter. Aber sie ist unverletzt geblieben.«
    »Die wird so schnell nicht sterben«, meinte Geir.
    Die Kellnerin kam und räumte den Tisch ab. Wir bestellten zwei weitere Gläser Bier und saßen eine Weile schweigend zusammen. Ich zündete mir eine Zigarette an und schob mit der Glut die weiche Asche in dem glänzenden Aschenbecher zu einem kleinen Haufen zusammen.
    »Ich zahle heute, nur dass du es weißt«, sagte ich.
    »Okay«, erwiderte Geir.
    Kündigte ich es nicht rechtzeitig an, dass ich bezahlen wollte, würde er die Rechnung übernehmen, und hatte er das einmal gesagt, war er nicht mehr davon abzubringen. Wir waren einmal zu viert ausgegangen, Geir und Christina, Linda und ich, in ein thailändisches Restaurant am Ende der Birger Jarlsgatan, und er hatte gesagt, dass er bezahlen würde, was ich jedoch nicht akzeptieren wollte, wir konnten doch zumindest teilen, nein, sagte er, ich übernehme das, keine Diskussion. Als der Kellner seine Karte genommen hatte, zählte ich den halben Rechnungsbetrag in bar ab und legte das Geld vor ihm auf den Tisch. Er machte keine Anstalten, es sich zu nehmen, es wirkte eher so, als hätte er es nicht einmal gesehen. Der Kaffee kam, wir tranken ihn, und als wir zehn Minuten später aufstanden, um zu gehen, hatte er das Geld immer noch nicht angerührt. He, jetzt nimm schon das Geld, sagte ich, ist doch klar, dass wir halbe halbe machen. Nun, komm schon. Nein, ich zahle, sagte er erneut. Das Geld gehört dir. Nimm es. Daraufhin wusste ich mir keinen anderen Rat, als das Geld zu nehmen und wieder einzustecken. Hätte ich das nicht getan, wäre es liegen geblieben, das wusste ich. Er schenkte mir sein widerwärtigstes Das-habe-ich-dochgewusst-Lächeln. Mittlerweile bereute ich, dass ich es nicht getan hatte. Kein Opfer war zu groß, wenn es darum ging, vor Geir nicht das Gesicht zu verlieren. Aber in Christinas Gesicht, das so ungeheuer empfindsam war und alles verriet,
was sie dachte, schien ich abzulesen, dass sie sich seinetwegen schämte. Oder die Situation zumindest peinlich fand. Einen offenen Schlagabtausch hatte ich mir nie mit ihm geliefert. Klug, vielleicht, denn es gab da etwas, was ich nicht überwinden konnte. Hätten wir zum Beispiel einen Wettstreit daraus gemacht, einander in die Augen zu sehen, wie man es als

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