Lieben: Roman (German Edition)
umgebracht.«
»So fühlte es sich auch an.«
»Aber das war doch im Grunde gar nichts.«
»Mag sein. Aber ich kann mir das einfach nicht verzeihen. Und so wird es bis zu meinem Tod bleiben. Ich habe eine lange Liste von Dingen, die ich getan habe, und bei denen ich nicht gut genug war. Denn darum geht es. Du sollst verdammt noch mal nicht betrügen. Und man sollte meinen, das wäre ein Ideal, an das man sich problemlos halten kann. Für manche ist es das wohl auch. Ich kenne einige, nicht viele, aber einige, die immer das Richtige tun. Die immer gute Menschen, feine Menschen sind. Ich rede nicht von denen, die nie etwas falsch machen, weil sie gar nichts machen, weil das Leben, das sie führen, so klein ist, dass im Grunde nichts zerstört werden kann, denn die gibt es ja auch. Ich spreche von denen, die ihrem ganzen Wesen nach gerecht sind, und von denen, die immer wissen, wie man sich in jeder Situation am besten verhält. Die nicht nur sich selbst sehen, sich selbst aber auch nicht unterschlagen. Du bist ihnen doch auch begegnet. Durch und durch gute Menschen, stimmt’s? Sie würden nicht wissen, wovon ich rede. Gerade weil das nichts ist, was sie sich ausgerechnet haben, sie denken nicht daran, dass sie gut sein sollen, sie sind es einfach und wissen es nicht. Sie kümmern sich um ihre Freunde, sind fürsorglich zu ihren Liebsten, sind gute Väter, aber auf keine weibliche Art, machen immer einen guten Job, wollen, was gut ist, und tun, was gut ist. Heile Menschen. Jon Olav zum Beispiel, weißt du noch, mein Cousin?«
»Sicher, ich bin ihm begegnet.«
»Er ist immer idealistisch gewesen, aber nicht, um etwas für sich selbst zu erreichen. Er ist immer für alle da gewesen, die ihn gebraucht haben. Und er ist völlig unverdorben. Für Hans gilt das Gleiche. Seine Rechtschaffenheit… ja genau, das ist das Wort, nach dem ich suche, Rechtschaffenheit. Ist man rechtschaffen, tut man das Richtige. Ich bin verdammt nochmal alles andere als rechtschaffen, es taucht immer irgendetwas
auf… nun ja, nichts Krankhaftes, aber etwas Niedriges, Anbiederndes, Kriecherisches, das aus mir heraus wallt. Gerate ich in eine Situation, die Rücksichtnahme verlangt, in der jedem klar sein muss, dass Rücksicht erforderlich ist, presche ich los wie ein Elefant im Porzellanladen, und warum? Weil ich nur an mich selbst denke, nur mich selbst sehe, von mir selbst überquelle. Ich kann durchaus gut sein für andere, aber dann muss ich es vorher durchdacht haben. Es liegt mir nicht im Blut. Es ist nicht Teil meiner Natur.«
»Und wo platzierst du, nur als Beispiel, mich in deinem System?«
»Dich?«
»Ja?«
»Oh, du bist ein Zyniker. Du bist stolz und ehrgeizig, vielleicht der stolzeste Mensch, den ich kenne. Du würdest niemals etwas offensichtlich Demütigendes tun, lieber hungern und auf der Straße schlafen. Du stehst loyal zu deinen Freunden. Ich verlasse mich blind auf dich. Gleichzeitig bist du dir selbst am nächsten und kannst andere rücksichtslos behandeln, wenn du aus irgendeinem Grund etwas gegen sie hast oder falls sie dir etwas getan haben oder falls du dadurch etwas Höheres erreichen kannst. Stimmt’s?«
»Durchaus. Aber die Menschen, die mir etwas bedeuten, behandele ich immer rücksichtsvoll. Wirklich. Skrupellos trifft es vielleicht eher. Das ist allerdings eine wichtige Unterscheidung.«
»Dann eben skrupellos. Aber um ein Beispiel zu nennen. Du hast mit den lebenden Schutzschilden im Irak zusammengewohnt, sie auf der ganzen Strecke aus der Türkei begleitet, in Bagdad alles mit ihnen geteilt. Einige von ihnen wurden deine Freunde. Sie waren auf Grund ihrer Überzeugung dort, die du nicht teiltest, aber das wussten sie nicht.«
»Sie haben es sicher geahnt«, sagte Geir und lächelte.
»Als dann die US Marines kommen, sagst du ohne Umschweife Tschüss zu deinen Freunden und schlägst dich auf die Seite ihrer Feinde, ohne dich noch einmal umzuschauen. Du hast sie verraten, es ist unumgänglich, es so zu sehen. Aber dich selbst hast du nicht verraten. Irgendwo dort ordne ich dich ein. Es ist eine selbständige und freie Position, aber der Preis dafür, sie zu erreichen, ist hoch. Um dich herum liegen die Menschen wie umgefallene Kegel verstreut. Mir wäre das nicht möglich, der Druck von verschiedenen Seiten setzt ein, sobald ich von meinem Stuhl im Büro aufstehe, und wenn ich auf die Straße komme, fesselt er mich an Händen und Füßen. Ich kann mich doch kaum noch bewegen. Ha ha ha! Aber es ist wahr.
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