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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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war ich das ungleiche Kräfteverhältnis satt, dass er alles bestimmte, und dann sagte ich Nein, wir gehen nicht nach rechts, sondern nach links, und er lächelte und meinte, sicher, wenn du willst, oder können wir machen, wenn du dich dann besser fühlst. Wir aßen täglich in einem neuen Restaurant zu Mittag, von Norwegen war ich an Stullen gewöhnt, dort ging ich vielleicht einmal pro Halbjahr essen; Geir und Christina taten dies täglich, oft sowohl mittags als auch abends, verglichen mit Norwegen war es spottbillig, und die Auswahl war unendlich groß. Ich fühlte mich zu den studentischen Cafés hingezogen, also denen, die am ehesten den Lokalen ähnelten, die ich aus Bergen kannte, aber Geir weigerte sich, er sei keine zwanzig mehr, sagte er, und wolle mit dieser Jugendkultur nichts zu tun haben. Nachmittags und abends zwang er mich, alle Schweden zu kontaktieren, die ich kannte, alle, mit denen ich im Laufe meiner Arbeit für Vagant in Verbindung gekommen war, alle, die mein Lektor kannte, weil es, sagte er, fast unmöglich war, in dieser Stadt eine Wohnung zu finden, alles laufe über Beziehungen. Ich wollte nicht, ich wollte schlafen, sitzen, dösen, aber er tippte mich ständig an, es müsse getan werden, einen anderen Weg gebe es nicht. Wir gingen zu einer großen Lyrik-Veranstaltung, dänische, norwegische, schwedische und russische Autoren lasen, unter anderem Steffen Sørum, der mit den Worten »Hello, Stockholm!« begann, als wäre er ein gottverdammter Rockstar, so dass ich mich für mein Land schämte. Inger Christensen las. Ein Russe torkelte betrunken über die Bühne und schrie,
dass keiner im Raum sei, der Lyrik möge, YOU ALL HATE POETRY!, brüllte er, während sein schwedischer Übersetzer, ein schüchterner Mann mit einem kleinen Rucksack auf dem Rücken, ihn zu beruhigen versuchte und schließlich, während der Russe stumm auf der Bühne auf und ab ging, ein Gedicht las. Das Ganze endete mit einer kraftvollen Verbrüderung, als der Russe seinem Übersetzer zunächst auf den Rücken klopfte und ihn anschließend umarmte. Ingmar Lemhagen war im Publikum, er kannte alle, und durch ihn kam ich hinter die Bühne und fragte alle schwedischen Autoren, ob sie eine Bleibe für mich wüssten. Raattamaa hatte eine Wohnung, sagte er, ich könnte in der nächsten Woche einziehen, kein Problem. Wir gingen mit ihnen aus, erst ins Malmen, wo die schwedische Lyrikerin Marie Silkeberg sich zu mir vorbeugte und mich fragte, warum sie denn nun ausgerechnet meinen Roman lesen sollte, und mir keine bessere Antwort einfiel, als dass ich glaubte, es könnte vielleicht eines dieser Bücher sein, die man einfach weiterlesen musste, woraufhin sie mir kurz zulächelte und danach, nicht so schnell, dass es eine Beleidigung war, aber auch nicht so spät, dass es bedeutungslos gewesen wäre, nach jemand anderem Ausschau hielt, mit dem sie sich unterhalten konnte. Sie war eine Dichterin, ich war ein Autor von Unterhaltungsliteratur. Hinterher gingen noch alle zu ihr nach Hause. Geir war im Gegensatz zu mir voller Verachtung für Dichtung und Dichter, er betrachtete sie mit hasserfülltem Blick und überwarf sich allein schon dadurch mit Silkeberg, dass er andeutete, eine so große und so zentral gelegene Wohnung müsse eine schöne Stange Geld gekostet haben. Als wir gegen Morgen Richtung Slussen gingen, sprach er über die Mittelschicht der Kulturschaffenden, ihre zahlreichen Privilegien, dass die Literatur für diese Leute nur eine Eintrittskarte ins gesellschaftliche Leben war, und er sprach über ihre Reproduktion von Ideologien. Er redete über ihre so
genannte Solidarität mit schlechter Gestellten, ihr Kokettieren mit der Arbeiterklasse und ihre Demontage von Größen wie Qualität, welch eine Katastrophe es doch war, dass die Qualität dem Politischen und Ideologischen untergeordnet war, nicht nur in der Literatur, sondern auch in den Universitäten und in letzter Konsequenz der ganzen Gesellschaft. Ich konnte nichts von all dem mit der mir bekannten Wirklichkeit in Verbindung bringen, widersprach ihm gelegentlich und sagte, er sei paranoid, er schere alle über einen Kamm, es gebe immer einen Menschen hinter der Ideologie, ließ ihn gelegentlich einfach reden. Aber, sagte er, als wir durch die Schranken der Station gingen und uns auf die Rolltreppe stellten, Inger Christensen ist einmalig. Wirklich fantastisch. Sie ist eine Klasse für sich. Obwohl das alle sagen, und du weißt ja, was ich von Konsensdenken

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