Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
Vom Netzwerk:
umarmt hätte. Ich tat es nicht.
    Als ich nach Stockholm kam, war sie abgesehen von Geir der einzige Mensch, den ich dort kannte. Ich hatte ihre Telefonnummer, und am zweiten Tag meines Aufenthalts rief ich sie von Geir und Christinas Wohnung aus an. Was in Biskops-Arnö passiert war, hatte ich abgehakt, ich hegte keine Gefühle mehr für sie, brauchte aber Kontakte in der Stadt, sie war Schriftstellerin, sie kannte mit Sicherheit viele Leute, vielleicht auch jemanden, der eine Bleibe für mich hatte.
    Sie meldete sich nicht, und ich legte auf und drehte mich zu Geir um, der tat, als hätte er nichts mitbekommen.
    »Keiner zu Hause«, sagte ich.
    »Versuch es später nochmal«, meinte er.
    Das tat ich. Aber sie ging nie an den Apparat.
    Mit Christinas Hilfe gab ich in den Stockholmer Tageszeitungen Anzeigen auf. Norwegischer Schriftsteller sucht Schreibstube/Wohnung, lautete der Text, wir hatten lange diskutiert,
bis er feststand, sie meinten, es gebe eine Menge kulturinteressierter Menschen, die bei dem Wort »Schriftsteller« anbeißen würden, und dass »norwegisch« etwas Grundanständiges und Harmloses suggeriere. Da schien etwas dran zu sein, denn das Telefon stand nicht mehr still. Die meisten Wohnungen, die man mir anbot, lagen in den Trabantenstädten außerhalb des Zentrums, und ich lehnte dankend ab, da es mir sinnlos erschien, in irgendeinem Häuserblock irgendwo im Wald zu hocken, und während ich auf ein besseres Angebot wartete, zog ich zunächst in die Norstedts-Wohnung und anschließend in die feminine Mädchenwohnung. Nach einer Woche dort passierte es; jemand wollte seine Wohnung im Stadtteil Södermalm vermieten, und ich fuhr hin und wartete vor der Tür. Zwei Frauen von ungefähr fünfzig Jahren, die sich so ähnlich sahen, dass sie Zwillinge sein mussten, stiegen aus einem Auto, ich begrüßte sie, und sie meinten, sie kämen aus Polen und wollten die Wohnung für mindestens ein Jahr vermieten, das klingt sehr interessant, sagte ich, kommen Sie mit hoch, meinten sie, dann können wir den Mietvertrag gleich unterschreiben, wenn Sie mögen.
    Die Wohnung war in Ordnung, anderthalb Zimmer, ungefähr dreißig Quadratmeter, mit Küche und Bad, akzeptabler Standard, perfekte Lage. Ich unterschrieb. Aber irgendetwas störte mich, irgendetwas stimmte nicht, ich begriff nicht, was, ging langsam die Treppe hinunter, blieb vor der Tafel mit den Namen der Hausbewohner stehen. Erst las ich die Adresse, Brännkyrkagatan 92, sie kam mir irgendwie bekannt vor, ich hatte sie schon einmal gesehen, aber wo? wo?, überlegte ich, während ich den Blick über die Liste der Namen schweifen ließ.
    Was zum Teufel.
    Linda Boström stand dort.
    Mir lief ein Schauer über den Rücken.
    Das war ihre Adresse! Ich hatte ihr geschrieben und sie um einen Text für Vagant gebeten, den Brief hatte ich verdammt nochmal an die Brännkyrkagatan 92 geschickt.
    Wie groß standen die Chancen für so etwas?
    Es wohnten anderthalb Millionen Menschen in dieser Stadt. Ich kannte einen einzigen Menschen in ihr. Setze eine Anzeige in die Zeitung, bekomme eine interessante Antwort von mir völlig fremden polnischen Zwillingen, und daraufhin stellt sich heraus, es ist dasselbe Haus !
    Langsam ging ich zur U-Bahn-Station, unruhig saß ich auf dem gesamten Heimweg zu meiner Jungmädchenwohnung auf dem Sitz. Was würde Linda denken, wenn ich ein Stockwerk über ihr einziehen würde? Dass ich sie verfolgte?
    Das ging nicht. Das konnte ich nicht machen. Nicht nach den fürchterlichen Dingen, die in Biskops-Arnö geschehen waren.
    Als ich zur Tür hereinkam, rief ich als Erstes die Polinnen an und sagte ihnen, ich hätte es mir anders überlegt, ich wollte die Wohnung doch nicht, ein besseres Angebot sei aufgetaucht, es tue mir wirklich leid.
    Das sei schon in Ordnung, meinten sie.
    Damit war ich wieder bei null.
    »Bist du wahnsinnig?«, sagte Geir, als ich es ihm erzählte. Du hast eine Wohnung mitten in Södermalm abgelehnt, die du sogar billig bekommen hättest, weil du glaubst, dass jemand, den du eigentlich nicht kennst, sich eventuell verfolgt fühlen würde? Ist dir eigentlich klar, wie viele Jahre ich versucht habe, eine Wohnung im Zentrum zu finden? Weißt du, wie schwierig das ist? Es ist unmöglich. Und dann kommst du Glückspilz und bekommst erst eine, dann noch eine, und sagst dann nein?«
    »So ist es jedenfalls«, erwiderte ich. »Ist es okay, wenn ich vorbeikomme? Es kommt mir ein bisschen so vor, als wärt
ihr meine Familie. Als

Weitere Kostenlose Bücher