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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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ihn.«
    Ich nahm ihm die Tasse ab und nippte an dem Kaffee.
    »Kaiser und Galiläer , um das Thema abzuschließen«, sagte er, »ist im Grunde auf haargenau die gleiche Art missglückt wie Zarathustra. Aber der Punkt ist, und das habe ich gestern nicht erwähnt, was diese Texte sagen, können sie nur dadurch sagen, dass sie missglückt sind. Das ist wichtig.«
    Er sah mich an, als erwartete er eine Erwiderung. Ich nickte zweimal, trank einen Schluck Kaffee.
    »Und was deinen Roman betrifft, so war es nicht in erster Linie die Geschichte von der Dreizehnjährigen, die ich erschütternd fand, sondern die Tatsache, dass du in deiner Selbstentblößung so weit gegangen bist. Das erfordert Mut.«
    »Bei mir nicht«, sagte ich. »Ich bin mir in der Hinsicht völlig egal.«
    »Aber gerade das merkt man eben! Was meinst du denn, wie viele so sind?«
    Ich zuckte mit den Schultern, wollte mich nur auf die Couch zurückfallen lassen und weiterschlafen, aber Geir hüpfte am anderen Ende beinahe auf und ab.
    »Was hältst du von einem Ausflug in die Stadt. Dann könnte ich dir alles zeigen. Stockholm hat zwar keine Seele, ist aber wahnsinnig schön. Das lässt sich nicht leugnen.«
    »Von mir aus«, sagte ich. »Aber vielleicht nicht sofort. Wie viel Uhr ist es eigentlich?«
    »Zehn nach acht«, sagte er und stand auf. »Zieh deine Lumpen an, dann frühstücken wir. Christina brät Eier und Speck.«
     
    Nein, ich wollte nicht aus dem Bett. Und als ich mich zum Aufstehen gezwungen hatte, wollte ich nicht aus der Wohnung. Dagegen konnte ich mir sehr gut vorstellen, für den Rest des Tages auf der Couch sitzen zu bleiben. Nach dem Frühstück versuchte ich, den Aufbruch hinauszuzögern, aber Geirs Energie und Wille waren unerbittlich.
    »Es wird dir guttun, ein bisschen zu laufen«, sagte er. »Wenn man so deprimiert ist wie du, ist es tödlich, in einer Wohnung zu hocken, das kapierst du doch hoffentlich. Also hoch mit dir! Jetzt komm schon! Wir gehen!«
    Auf dem Weg zur Bahnhaltestelle, während er kraftvoll ausschritt und ich hinterherhechelte, drehte er sich mit einem Grinsen zu mir um, das sicher ein Lächeln sein sollte.
    »Hast du die Vorfälle in Nordnorwegen mittlerweile aus dem Unterbewusstsein nach oben geholt oder fällt dir das immer noch so schwer?«, sagte er.
    »Kurz vor dem Einschlafen ist mir der Zusammenhang klar geworden«, sagte ich, »und ich will nicht leugnen, dass ich erleichtert war. Eine Zeitlang dachte ich, du hättest Recht,
und ich hätte wirklich alles verdrängt. Es war nichts Besonderes.«
    »Und wie lautet die Erklärung?«
    »Du hast drei verschiedene Geschichten in einen Topf geworfen und eine aus ihnen gemacht, entweder damals oder als du das Buch gelesen hast. Ich war da oben mit einem Mädchen zusammen, aber sie war sechzehn und ich war achtzehn. Oder warte mal, sie war fünfzehn. Oder sechzehn. Da bin ich mir nicht mehr sicher. Aber jedenfalls keine dreizehn.«
    »Du hast gesagt, dass du in eine deiner Schülerinnen verliebt warst.«
    »Das kann ich unmöglich gesagt haben.«
    »Doch, verdammt, Karl Ove. Ich habe ein Elefantengedächtnis.«
    Wir blieben an der Sperre stehen, ich kaufte eine Fahrkarte, und wir gingen den langen Betontunnel zum Bahnsteig hinab.
    »Es gab ein Mädchen, das in mich verliebt war, daran erinnere ich mich. Das muss dir im Gedächtnis geblieben sein. Und dann hast du die andere, mit der ich tatsächlich zusammen und in die ich verliebt war, hineingezogen.«
    »Mag sein«, meinte er. »Aber das ist nicht, was du mir erzählt hast.«
    »Jetzt hör aber auf, verdammt. Ich bin nicht nach Stockholm gekommen, um noch mehr Probleme zu bekommen. Der Sinn des Ganzen war doch, alle Probleme hinter mir zu lassen.«
    »Dann bist du an den Richtigen geraten«, sagte er. »Ich werde es nie wieder erwähnen.«
    Wir nahmen die U-Bahn in die Stadt und stiegen im Laufe des Tages an verschiedenen Haltestellen aus. Jedes Mal offenbarte sich eine neue Stadtlandschaft, und alles war, wie er gesagt hatte, schön. Dennoch wollte es mir nicht gelingen, die einzelnen Teile zu verknüpfen; in den vier, fünf Tagen, in
denen wir vom frühen Vormittag bis zum späten Nachmittag durch die Stadt liefen, bestand Stockholm für mich aus Bruchstücken und Fragmenten. Wir gingen nebeneinander, er zeigte nach links, und wir gingen nach links, nach rechts, und wir gingen nach rechts, während er laut und enthusiastisch darüber sprach, was wir sahen und was er alles damit assoziierte. Von Zeit zu Zeit

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