Lieben: Roman (German Edition)
Raum. Ich folgte ihm. Wir setzten uns, studierten die Speisekarte und bestellten Hähnchen und Bier.
»Habe ich dir eigentlich erzählt, dass ich hier einmal mit Arve gewesen bin?«, sagte ich.
»Nein.«
»Als wir nach Stockholm kamen, landeten wir hier. Na ja, erst waren wir in der Nähe des Stureplan, wie mir mittlerweile klar ist. Arve ging irgendwo hinein und erkundigte sich, ob sie wüssten, wo die Stockholmer Schriftsteller öfter einen trinken gingen. Sie lachten ihn nur aus und antworteten auf Englisch. Also irrten wir da oben eine Zeit lang herum, und im Grunde war es furchtbar, weil ich doch so viel von Arve hielt, er war ein Intellektueller, hatte von Anfang an bei Vagant mitgearbeitet, und dann trafen wir uns am Flughafen, und ich bekam kein Wort heraus. Fast keins. Wir landeten auf Arlanda, ich konnte nicht reden. Fuhren in die Stadt, fanden unsere Pension, ich sagte nichts. Gingen essen, nada. Kein Wort. Ich wusste, meine einzige Chance bestand darin, mich durch die Schallmauer zu trinken. Also tat ich es. Ein Bier oben in der Drottninggatan, nach dem wir jemanden fragten, wo man gut ausgehen könne, man sagte uns Södermalm, Guldapan, und daraufhin nahmen wir ein Taxi hierher. Ich trank Schnaps und begann, ein bisschen zu reden. Einzelne Worte. Arve lehnte sich zu mir vor und sagte, die Frau da drüben sieht dich an. Soll ich gehen, damit du mit ihr allein sein kannst? Welche Frau, sagte ich, die da, sagte Arve, und ich sah sie an und verdammt, sie war schön! Aber vor allem beschäftigte mich Arves Angebot. War das nicht ein bisschen merkwürdig?«
»Doch.«
»Wir betranken uns. Mussten nicht mehr reden. Wir torkelten ein bisschen durch die Straßen, es wurde hell, ich hatte kaum noch einen Gedanken im Kopf, dann fanden wir eine Kneipe und gingen hinein, sie hatte eine tolle Atmosphäre, und ich war jenseits von Gut und Böse und kippte mir Bier hinter die Binde, während Arve von seinem Kind erzählte. Plötzlich saß er vor mir und weinte. Ich hatte ihm doch nicht einmal zugehört. Und dann saß er da, die Hände vors Gesicht
geschlagen, und seine Schultern schüttelten sich. Der weint ja richtig!, dachte ich irgendwo tief in mir. Dann machten sie dort zu, und wir nahmen ein Taxi zu einem Lokal, das noch länger geöffnet war, aber die wollten uns nicht reinlassen, und danach fanden wir ein großes offenes Gelände mit einem Kiosk am Ende, es könnte der Kungsträdgården gewesen sein, ich glaube fast, er war es. Dort standen ein paar angekettete Stühle. Wir hoben sie über unsere Köpfe und warfen sie gegen die Wand, rannten herum, waren vollkommen neben der Spur. Komisch, dass keine Polizei kam. Jedenfalls tauchte sie nicht auf. Anschließend nahmen wir ein Taxi zu unserer Pension. Am nächsten Morgen erwachten wir zwei Stunden, nachdem unser Zug gegangen war. Aber uns war ohnehin alles dermaßen scheißegal, dass das auch keine Rolle mehr spielte. Wir gingen zum Bahnhof und nahmen den nächsten Zug, und ich redete während der ganzen Fahrt. Pausenlos. Es war, als käme alles heraus, was ich im letzten Jahr in mir gehabt hatte. Irgendetwas an Arve machte das möglich. Ich weiß nicht genau, was es war, oder ist. Eine Art riesige Akzeptanz in ihm. Wie dem auch sei, er bekam die ganze Geschichte zu hören. Vaters Tod, diese Hölle, der Debütroman und alles, was gleichzeitig passiert war, und nachdem ich ihm das erzählt hatte, machte ich weiter. Ich weiß noch, wir standen vor dem Bahnhof da draußen und warteten auf das Taxi, kein Mensch war zu sehen, nur Arve und ich, er sah mich an, und ich redete und redete. Kindheit, Jugend, es gab nichts, was ich nicht ansprach. Nur über mich selbst, sonst nichts. Ich, ich, ich. Ich überschüttete ihn mit allem. Irgendetwas in ihm machte das möglich, er begriff alles, was ich sagte und meinte, und so etwas hatte ich noch nie bei einem Menschen erlebt. Es gab immer Einschränkungen, Haltungen, eigene Positionsbestimmungen, wodurch alles, was man sagte, an einem bestimmten Ort eingeschlossen wurde oder in eine bestimmte Richtung
führte, so dass all die Dinge, die man sagte, immer zu etwas anderem umgestaltet wurden, nie für sich stehen konnten. Arve dagegen, empfand ich an dem Tag, war ein vollkommen offener Mensch, gleichzeitig aber auch neugierig, so dass er die ganze Zeit zu verstehen versuchte, was er sah. Aber diese Offenheit hatte nichts Instrumentelles, es war nicht die Offenheit irgendeines verdammten Psychologen, und auch seine Neugier hatte
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