Lieber Dylan
mir googelst. Über diesen Ausdruck muss ich immer kichern. Ich habe einen Freund namens Ricardo, einen extrem aufgemotzten Choreographen mit einer Stirnlocke wie aus Tim und Struppi und einem chronischen Lispeln – und der sagt immer: »Mädel, solange keiner nach dir googelt, hast du es noch nicht bis nach oben geschafft.«
Nun kann ich ihm also stolz verkünden, dass nach mir gegoogelt worden ist wie nach den ganz Großen. Mein Mann Bruce ist – war (ich hasse dieses Wort »war« einfach – es ist so verdammt endgültig) – ein wundervoller Mann, und du hast vollkommen recht, er war freundlicher und zuvorkommender als jeder Mann, den ich je kennengelernt habe, und ein absoluter Glücksfall als Regisseur. Die Geschichte, wie deine Eltern sich kennengelernt haben, hat mir die Tränen in die Augen getrieben, weil es mich so sehr an die erste Begegnung zwischen Bruce und mir erinnert hat. Ich war bei unserem Kennenlernen allerdings wesentlich älter als deine Mutter – schon fast vierzig, und ich hatte bis dahin zweifellos schon eine ganze Menge Frösche geküsst. Aber das Warten hat sich wirklich gelohnt, das kannst du mir glauben. Und genau wie deine Mutter wusste ich in dem Moment, in dem mein Blick das erste Mal auf ihn fiel, dass er der Richtige für mich ist. Also mach dir keine Sorgen, Georgie – wenn du fest genug daran glaubst, dass deine Träume Wirklichkeit werden, dann werden sie eines Tages tatsächlich wahr, genau wie in dem Buch aus der Sendung mit Oprah .
Ich frage mich, wie viele Frauen wohl nachts im Bett liegen und davon träumen, dass ein Mann kommt und sie rettet. Stell dir mal vor, wenn in allen Betten des Landes herzförmige Comic-Sprechblasen aus den Köpfen der Frauen aufsteigen würden, während sie sich hin und her wälzen und ihre tränennassen Kissen an sich drücken. Es scheint mir eine solche Tragödie, dass sogar heutzutage Frauen sich noch immer in der Falle fühlen. Aber mach dir keine Sorgen, Georgie, wie ich in meiner letzten Mail schrieb, deine Zeit kommt schon noch, und wenn du diese Freiheit erst einmal gekostet hast, gibt es nichts mehr, das dich aufhalten kann. Hier und heute mögen deine Tage dir grau erscheinen, aber dein Geist ist ein Kaleidoskop voller Farben, und darauf kommt es an, glaub mir.
Du hast gefragt, ob Dylan wie Jimmy ist, und die Antwort lautet ja und nein. Ja, er ist einfühlsam und freundlich – glücklicherweise kommt er da ganz nach seinem Vater, aber er hat auch ein bisschenwas von einem Freigeist mit einem Hang, manches übermäßig zu dramatisieren. Ich kann mir gar nicht denken, von wem er das wohl hat!! Aber alles in allem ist er ein lieber Junge, und ich bin sehr, sehr stolz auf das, was er im Moment macht.
Dennoch muss ich zugeben, dass das Haus mir stiller als eine Leichenhalle vorkommt, jetzt, wo er und Bruce weg sind. Aber immerhin habe ich noch meinen treuen Hund Woodstock und meine neue Mailfreundin, die mir Gesellschaft leisten. Übrigens kann Dylan kein bisschen Gitarre spielen, sie mussten ein Gitarre spielendes Double einsetzen für die Szenen in seinem Zimmer, in denen er den Blues spielt.
Viel Glück morgen beim Theater-Workshop. Ich nehme an, du wirst diese Mail nicht bekommen, bevor du da gewesen bist, also hoffe ich, dass alles gut läuft, und ich hoffe, dass sie dir erlauben, deine Schwester mitzubringen. Ich gehe gleich mit ein paar Freunden zum sonntäglichen Mittagessen. Wir machen das an jedem letzten Sonntag im Monat, aber um ehrlich zu sein, mir wäre es lieber, wenn wir es in Zukunft bleiben lassen würden. Es war etwas, das wir angefangen haben, als Bruce noch am Leben war. Wir vier gingen immer in einen wundervollen alten Pub in den Sussex Downs, der The Snowdrop heißt – sie haben da einen offenen Kamin und anständiges, frisch gekochtes Essen, und der Wirt nennt einen »Geliebte«. Obwohl ich sagen muss, dass das nicht gerade die schönste Aussicht ist, denn sein riesiger Hintern breitet sich unter seinem Gürtel aus wie gärender Brotteig in der Form. Ich habe unsere gemütlichen Sonntage dort immer geliebt, aber jetzt ist es schier unerträglich für mich, neben einem leeren Stuhl zu sitzen und mir die ganze Zeit über zu wünschen, dass, wenn ich das nächste Mal aufblicke, Bruce von der Toilette oder der Bar zurückkommt und die vergangenen neun Monate nur ein schlimmer Traum gewesen sind. Aber man muss sich ja Mühe geben, nicht wahr? Und ich weiß, meine Freunde versuchen nur, sich
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