Lieber Dylan
Vaters gerade ein Junge angefangen zu arbeiten. Er hieß Cyril, aber dafür konnte er ja schließlich nichts, und er war eingestellt worden, um in der Milchwirtschaft zu helfen. Abgesehen von seinem Namen und der unglückseligen Neigung, Schaumtröpfchen aus dem Mund zu versprühen, wenn er aufgeregt war, schien er der perfekte Partner für meine arme liebeshungrige Freundin zu sein. Also organisierte ich ein Sardinenspiel. Ich weiß nicht, ob deine Generation überhaupt noch Sardinen spielt? Es ist im Grunde nichts anderes als Verstecken, nur dass sich lediglich einer versteckt und alle anderen versuchen müssen, ihn zu finden. Und wer ihn gefunden hat, muss sich mit ihm verstecken, so lange, bis alle wie die »Sardinen« in das Versteck gequetscht sind und nur noch ein einziger Suchender übrig bleibt. Dieser Unglücksrabe scheidet dann aus. An einem Sonntag also, als Cyril seine Schicht in der Molkerei beendet hatte und Anna und ich am Hoftor herumlungerten, rief ich ihn zu uns herüber und schlug vor, das Spiel zu spielen. Ich entschied, dass Anna sich als Erste verstecken sollte, wusste ich doch nur zu gut, dass sie wie üblich ihr Versteck im Kohlenkeller neben dem Haus wählen würde. Dann sah ich zu, wie Cyril sich daranmachte, sie zu suchen. Der arme Kerl brauchte Stunden, um auf das Versteck zu kommen, doch endlich kroch er in den Bunker, und ich rannte hinterher und verriegelte die Tür hinter ihm. Verstehst du? Ich dachte mir, wenn sie auf so tragische Weise miteinander in der Falle saßen, musste die Liebe einfach zu blühen beginnen, denn sie würden sich aneinanderkuscheln, um sich gegenseitig zu wärmen, zu trösten und so weiter. Leider aber war das Einzige, das in diesem Kohlenkeller zu blühen begann, eine Massenhysterie. Es stellte sich heraus, dass Cyril neben all seinen anderen Schwächen auch noch an Platzangst litt. Sobald ihm klar wurde, dass er eingesperrt war, machte er sich nicht etwa daran, Anna zu verführen, sondern fing an zu kreischen. Er kreischte und kreischte. Bedauerlicherweise hörte ich ihn nicht, denn ich war ins Haus gegangen, um der Liebe Zeitzum Blühen zu geben und eine Schüssel Eis zu verdrücken – von dem ganzen Herumgerenne, wobei ich so tun musste, als würde ich Anna suchen, hatte ich einen Riesenhunger bekommen. Ich weiß nicht mehr genau, wie lange ich sie da drinnen ließ. Anna sagt, es war ein halber Tag. Ich hätte eher auf eine halbe Stunde getippt, aber als ich zurückkam, um den Riegel zu öffnen, war mächtig der Teufel los. Cyril stürmte aus dem Keller wie ein Stier aus den Toren, sein Gesicht war verschmiert von Spucke und Kohlenstaub, und sein Haar sträubte sich praktisch aufrecht in die Höhe. Er verschwand fast in der Staubwolke, die er aufwirbelte, und so floh er von der Farm. Anna war außer sich vor Wut, schrie mich an, wie ich nur so blöd hatte sein können, und wollte wissen, was ich mir dabei gedacht hatte. Nicht einmal, als ich ihr erklärte, dass ich doch alles nur für sie und im Namen der wahren Liebe getan hatte, wollte sie sich beruhigen. Und heute, im Rückblick betrachtet, ist mir klar, dass sie vollkommen recht hatte. Was um alles in der Welt hatte ich mir dabei gedacht, sie mit einem Jungen einzusperren, der aus dem Mund schäumte? Ich hätte sie mit einem der Stallburschen einschließen sollen, die sahen wesentlich besser aus und waren auch längst nicht so empfindlich.
Du siehst also, Georgie, schon von klein auf hatte ich eine fatale Neigung, das Falsche zu tun, aber nie aus üblen Gründen. Jetzt ist mir nur allzu bewusst, dass ich dir, indem ich so tat, als sei ich Dylan, nur das Herz brechen konnte, aber ich habe dir ganz ehrlich nur deshalb geschrieben, weil ich versuchen wollte, dich glücklich zu machen. Ich kann dir versichern, dass ich nie vorhatte, mich über dich lustig zu machen. Du bist ein faszinierender Mensch, und deine E-Mails sprühen nur so vor Leben – ich hatte wirklich angefangen, mich auf die neuesten Nachrichten aus deiner Welt zu freuen.
Da wir gerade dabei sind – ich hoffe so sehr, du wirst nächste Woche zu deinem Bugsy-Malone-Workshop gehen dürfen. Damals, bevor Dylan zur Welt kam, habe ich mich selbst ein bisschen in der Welt des Theaters herumgetrieben, und Blousey war eine meiner allerersten Rollen. Ich werde nicht nur die Daumen, sondern auch alles andere für dich drücken – mit Ausnahme meiner Augen, denn damit macht man wirklich keinen guten Eindruck, schon gar nicht in meinem
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