Lieber Dylan
grauen Stein geprägt ist. Es fühlte sich so seltsam an, sich Jungen wie Jamie vorzustellen, die losziehen, um im Krieg zu kämpfen und zu sterben. Es ließ mich schaudern. Als ob er meine Gedanken lesen konnte, stand Jamie auf und umarmte mich. Es dauerte nur eine Sekunde, und jetzt, wo ich weiß, was später passierte, wird mir ganz schlecht, aber in dem Moment fühlte es sich so schön an. Er fühlte sich so stark an, und sein Aftershave roch köstlich wie ein Wald, nachdem es geregnet hat. »Alles okay mit dir, Blousey?«, fragte er und hob die Hand, um mich zu streicheln, wie er es in seinem Zimmer getan hatte. Ich traute mir nicht zu, etwas zu sagen, ich war sicher, meine Stimme würde als schrilles Quietschen herauskommen. Also nickte ich bloß. Aber es war toll, denn wir waren sofort wieder da, wo wir vorhin aufgehörthatten, und zwischen uns gab es überhaupt keine Verlegenheit. Auf dem Weg in den Wald erzählte mir Jamie alles über seine Band und dass die anderen Mitglieder alle älter und schon mit der Schule fertig waren und dass er es nicht erwarten konnte, nächsten September ebenfalls fertig zu werden – er hasst es, sich sagen zu lassen, was er zu tun und wo er zu sein hat. Ach, es ist so schwer, jetzt über all die schönen Sachen zu schreiben und dabei zu wissen, was hinter den Kulissen vor sich ging.
Jedenfalls hat Jamie mich gefragt, was ich machen wollte, wenn ich mit der Schule fertig oder »entkommen« war, wie er es ausdrückte. Und es war so schön, mit jemandem zusammen zu sein, der sich wirklich für mich zu interessieren schien. Und er fand es auch echt interessant, als ich ihm erzählte, dass mein Vater ein Roadie gewesen war. Er sagte, er fände, ich wäre eine echt coole Sängerin, und deshalb hätte er mich eingeladen mitzukommen, denn er wollte gern, dass seine Bandmitglieder meine Stimme hörten. Du siehst also, es war kein Date – und es ist nie eines gewesen. Ich weiß wirklich nicht mehr, warum ich mir eingebildet habe, es könnte eines sein. Aber zu diesem Zeitpunkt war ich noch nicht allzu enttäuscht, denn da wusste ich ja noch nicht, dass ich dem schlimmsten Abend meines Lebens entgegenging.
Als wir im Wald ankamen, führte Jamie mich in diesen echt coolen Teil, in dem ich noch nie gewesen war. Man muss sich ungefähr fünf Minuten lang durch die Büsche schlagen, und dann kommt man auf eine Lichtung. Angeblich hat die Regierung hier im Zweiten Weltkrieg einen geheimen Bunker unter der Erde gebaut, aber jetzt ist da nur noch ein vollkommener Kreis aus bemooster Erde, von Bäumen beschützt. Jamies Freunde waren schon da und versuchten, ein Lagerfeuer anzuzünden. Die Band hat vier Mitglieder – ein echt dünner Junge namens Karl, der Bass spielt, ein echt großer Junge namens Honigmonster, der Schlagzeug spielt, Tez, der Keyboard und Saxofon spielt, und Pete, der Gitarre spielt. Jamie spielt auch Gitarre und ist ihr Lead-Sänger. Karl und Tez hatten ihre Freundinnen mitgebracht, also war ich Gott sei Dank nicht das einzige Mädchen. Aber am Anfang war es wirklich peinlich, dasitzen zu müssen, während Jamie mich vorstellte. »Das ist Blousey«, sagte er. »Die, von der ich euch erzählt habe.« Das war die Freude im Cocktail meines ersten »Dates« – als sie sich alle zu mir umwandten und lächelten und Honigmonster sagte: »Ach ja, das Mädchen mit der umwerfenden Stimme.« (Hmm – und mit den knallroten Wangen natürlich!) Aber ich war in diesem Moment so glücklich, dass es mir nichts ausmachte, dass mein Date gar keines war. Jamie hatte ihnen tatsächlich von mir erzählt! Und er hatte ihnen ganz offensichtlich nette Sachen über meinen Gesang erzählt!
Als sie das Feuer in Gang gebracht hatten, öffneten die Jungen Bierdosen, und Karls Freundin reichte mir eine Flasche Wein und einen Plastikbecher. Sie war gebräunt und schlank und trug wirklich hübschen silbrigen Lidschatten, der im Feuerschein schimmerte. Für den Bruchteil einer Sekunde spielte ich mit dem Gedanken, den Wein zu nehmen, nur um mir die Peinlichkeit zu ersparen, aber ich konnte nicht. Also schüttelte ich den Kopf und sagte: »Sorry, ich trinke nicht.« Aber statt zu lachen oder mich anzugucken, als wäre ich ein Freak, lächelte das Mädchen nur, und Jamie griff in seine Tasche und gab mir eine Dose Cola. Es war so schön festzustellen, dass es endlich einmal genug war, einfach nur ich selbst zu sein und nicht so tun zu müssen, als wäre man cool oder erfahren oder was weiß
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