Lieber Dylan
Wirklichkeit alles, einschließlich mir selbst, kaputt ist. Also habe ich ihm alles erzählt. Von meiner Mutter und dem Ton-Zerstörer und wie satt ich es habe, immer zu versuchen, das Richtige zu tun und niemanden zu verärgern, und mich in meiner eigenen Familie wie ein Außenseiter zu fühlen. Und dann erzählte ich ihm, wie der Ton-Zerstörer das Badezimmer zerschlagen und mich an den Haaren gezogen und meinen Arm verletzt hat, und wie er, gerade als die Dinge etwas besser aussahen, alles zerstört hat, indem er verhinderte, dass meine Mum und Michaela zu der Aufführung kommen. Jamie hielt mich die ganze Zeit über im Arm und sagte kein Wort, und dann, als ich endlich fertig war, lehnte er sich ein wenig zurück, sodass er mir direkt in die Augen sehen konnte. Und dann küsste er mich. Ja, du hast richtig gelesen – JAMIE PHELPS HAT MICH GEKÜSST – und ja, es war ein richtiger Kuss, auf die Lippen. Es war wirklich schön und weich, als ob einer der Schmetterlinge aus meinem Magen sich befreit und auf meine Lippen gesetzt hätte. Und das Komischste an allem war, dass ich noch nicht mal etwas von den Sachen, die du mir empfohlen hast, gemacht habe. Ich hatte weder meine Lippen geleckt noch diesen Blick mit dem Dreieck probiert und auch nicht gekichert oder ihn unter gesenkten Augen angesehen – meine Augen waren dazu viel zu voll von Tränen! Und dann wischte er mir die Tränen von den Wangen und sagte: »Mach dir keine Sorgen, Blousey, ich passe auf dich auf.« Und dann sagte er mir, nach der Aufführung bräuchte ich nicht wieder nach Hause zu gehen, denn ich könnte mit zu ihm kommen, und er wäre sicher, wenn er seinen Eltern erst einmal erzählt hätte, was passiert war, dürfte ich so lange bleiben, wie ich wollte. Ich wusste, dass das nicht wirklich die Lösung für meine Probleme war. Ich wusste, ich konnte nicht einfach bei Jamie einziehen und dort bis an mein Endeglücklich vor mich hin leben, aber ich war so froh und so aufgeregt, weil er mich geküsst hatte, dass mir das nichts ausmachte. Ich frage mich, ob man sich so fühlt, wenn man betrunken ist, denn als wir aufstanden, um ins Gemeindezentrum zu gehen, fühlte ich mich total wackelig, und in meinem Kopf drehte sich alles. Gott sei Dank schaffte ich es aber, mich »auszunüchtern«, bevor die Vorstellung anfing! Und letzten Endes hat es überhaupt nichts ausgemacht, dass meine Mutter nicht da war, denn es war so schön, mit Jamie zu spielen und sein stolzes Lächeln zu sehen, nachdem ich mein Solo gesungen hatte, und zu fühlen, wie er meine Hand drückte, als wir uns verbeugten. Als das Publikum zu applaudieren begann, war es, als würde man von einer Wand aus Lärm erschlagen, und ich musste daran denken, wie du mir gesagt hast, mein Leben würde nicht immer von Erwachsenen bestimmt werden und eines Tages würde ich frei sein. In diesem Moment erhielt ich aus diesen Reihen von lächelnden, jubelnden Gesichtern einen Vorgeschmack dieser Freiheit, denn sie alle klatschten und jubelten für mich und für etwas, das ich ganz allein geschafft hatte, und am Ende war es nicht einmal dem Ton-Zerstörer gelungen, mich aufzuhalten.
Doch sobald die Show zu Ende war und das Publikum nach draußen strömte, wurde mir wieder übel. Wie konnte ich denn mit zu Jamie gehen? Ich war dort doch erst einmal gewesen. Was würden seine Eltern denken? Aber wie hätte ich nach Hause gehen können? Jamie schien jedoch wirklich glücklich, und er umarmte mich immer wieder und sagte mir, wie gut ich gewesen war, also wusste ich nicht, was ich tun sollte. Aber gerade, als wir aus dem Gemeindezentrum kamen und zum Parkplatz gingen, um seine Eltern zu suchen, spürte ich, wie mir jemand auf die Schulter tippte. Ich konnte es nicht fassen, als ich mich umdrehte und meine Mum im Schatten stehen sah. Ich hätte sie fast nicht erkannt, denn sie trug eine riesige Sonnenbrille. Ich hatte kaum »Mum!« gesagt, da blieb Jamie stehen und drehte sich um, und Furcht erfasste mich. Was, wenn er etwas von dem, was ich ihm erzählt hatte, zu ihr sagte? Was, wenn er sie wütend anschrie? Aber alles war in Ordnung, er nickte nur und lächelte.Dann lächelte Mum zurück und sagte: »Ihr wart beide toll, wirklich toll.« Ich sah ihr verwirrt ins Gesicht, aber konnte nicht erkennen, was hinter der Sonnenbrille vor sich ging. »Was meinst du?«, fragte ich. »Hast du die Aufführung gesehen? Warst du da?« Mum nickte. In diesem Moment hielt neben uns ein Auto, und Jamies Mutter
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