Lieber Dylan
lehnte sich aus dem Fenster. Sie lächelte und sagte: »Gut gemacht«, und dann fragte sie Jamie, was er vorhatte. Er sah erst mich und dann meine Mum an. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Was machst du denn, Blousey?« Mir war übel. Ich wollte so furchtbar gern mit ihm gehen, aber ich konnte doch auch meine Mutter nicht allein lassen, nachdem sie zu der Aufführung gekommen war. Ich musste herausfinden, was passiert war. Ich machte mir auch ein bisschen Sorgen, weil sie im Dunkeln diese riesige Sonnenbrille trug. »Ich gehe besser mit meiner Mutter«, murmelte ich und hoffte, er würde mich verstehen. Jamie nickte. »Wenn du mich brauchst, ruf mich an, ja?«, erwiderte er, ehe er meine Mum fest ansah. Sie sah zu Boden. »Ja, klar«, sagte ich. Jamie küsste mich auf die Wange, dann schwang er sich hinten zu seiner Mutter ins Auto, und sie fuhren los.
Ich wandte mich meiner Mum zu. »Wie hast du denn kommen können?« war alles, was ich sagen konnte. Sie sah mich an und wies zu einer schattigen Grube unter dem Weidenbaum. »Können wir dorthin gehen und reden?« Ich nickte und folgte ihr zum Ufer des Teichs. Ein kühler Wind bewegte das Wasser, und das Spiegelbild des Mondes glitt wie ein großer, glänzender Ball über die Oberfläche. Wir setzten uns beide auf den mit Stoppeln bewachsenen Boden, und Mum drehte sich um, um mich anzusehen. »Du warst wundervoll, Georgie«, sagte sie ruhig. »Deine Stimme. Sie ist so kraftvoll. Es war, als würde man …« Sie brach ab und blickte auf das bewegte Wasser. »Es war, als würde man was?«, fragte ich. »Deinem Vater zusehen«, antwortete sie. »Er hatte auch eine unglaubliche Stimme.« Ich folgte ihrem Blick über den Teich, und dann fing ich aus irgendeinem merkwürdigen Grund an, Wonderful Tonight zu summen. »Hör auf!«, sagte sie, drehte sich wieder zu mir um, und dann fing sie an zu weinen. »Was ist los?«, fragte ich, abersie weinte einfach weiter. Schreckliche, heftige Schluchzer, die tief aus ihrem Inneren zu kommen schienen. »Mum?«, fragte ich, weil ich anfing, mich ein bisschen zu fürchten. Angelica wischte sich mit den Fingern das Gesicht ab, ohne die Sonnenbrille abzunehmen. »Dich auf dieser Bühne zu sehen, war, als wäre ein Teil von ihm wieder zum Leben erwacht«, schniefte sie. »Und ich hatte vergessen …«
Ich wagte kaum zu atmen. »Was? Was hast du vergessen?« – »Wie begabt er war«, fuhr sie fort. »Und wie liebenswert.« Sie lächelte schwach. »Aber du hast gesagt – du hast erlaubt, dass Tony sagt –, dass er Drogen genommen hat und dieses ganze Zeug.« Auf einmal war ich wirklich verwirrt. Hatte der Ton-Zerstörer also doch gelogen? Meine Mum faltete die Hände, als würde sie gleich anfangen zu beten. »Ich weiß«, antwortete sie. »Aber Tony ist sehr gut darin, die Dinge zu verdrehen. Er bringt mich dazu, dass ich nicht mehr weiß, was ich glauben soll.« Ich konnte nicht anders, als den Kopf zu schütteln. »Aber du hast Dad doch gekannt. Du hast gewusst, dass er keine Drogen genommen hat. Oder, Mum?« Sie fing wieder an zu weinen, aber dieses Mal waren die Schluchzer viel leiser, als hätte der Schmerz in ihrem Innern seine Kraft verloren. Ich rutschte ein bisschen am Ufer entlang, bis ich genau vor ihr hockte, und nahm ihre Hände. »Mum! Dad hat doch keine Drogen genommen, oder? Tony hat gelogen. Er wollte nur, dass ich mich schlecht fühle, er …«
»Er hat nicht gelogen, Georgie«, unterbrach sie mich und zog ihre Hände aus meinen. Schockiert setzte ich mich auf meine Füße. »Was? Aber …«
»Dein Dad hat Drogen genommen, so wie jeder in seinem Job Drogen genommen hat. Aber es war nur Dope, es war nichts Hartes.« Ich starrte sie an, auf die schwarzen Scheiben, die ihre Augen bedeckten. »Aber an dem Tag, an dem er gestorben ist? Hat er da Drogen genommen?« Mum nickte. »Ja. Aber es war nicht so, wie Tony gesagt hat. Es war nicht, weil wir ihm nichts bedeuteten. Er hatte einen Joint geraucht, aber er war nicht weggetreten. Das hat ihn nicht umgebracht, Georgie. Es war der Regen auf der Straße. Darauf ist das Motorrad weggerutscht.«
Ich schluckte hart. »Und warum hast du dann Tony erlaubt, dieses Zeug zu sagen, darüber, dass er uns nicht geliebt hat und dass es ihm nichts ausgemacht hat, ob er starb?« Mum wandte sich ab, und als sie sprach, war ihre Stimme nicht mehr als ein Flüstern. »Weil er mich dazu gebracht hatte, es zu glauben.« Sie wandte sich wieder mir zu. »Ich weiß, es
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